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Feldarbeit
Etappe 8
Ravelo nach Cochabamba
November, Dezember 1997
Alle Bilder in dieser Etappe wurden ausser den Kulturfotos ab Dias digitalisiert.
Diese Reise zählt zu der abenteuerlichsten und schwierigsten. Auf dem Weg von Ravelo nach Norden versuche
ich das ganze zerklüftete Einzugsgebiet des Rio Grande zu durchqueren. Es gibt keine Strassen in diesem
wenig besiedelten Gebiet. Mein Ziel ist es herausfinden wie weit der Formenkreis der Sulcorebutia vasqueziana in
Richtung Norden verbreitet ist. Ich hoffe aber auch neue unbekannte Kakteenarten zu finden.
von Ravelo nach Cochabamba
Sonntag, 2. November 1997
Kurz vor der Landung des Fluges von La Paz nach Sucre hat man schöne Sicht auf mein zukünftiges Wandergebiet
in der Region von Ravelo, Ausgangspunkt meiner Reise. In der Anflugschneise überfliegen wir nur knapp einen
abgetragenen Hügel, dann lässt der Pilot das Flugzeug fallen und gibt vor der kurzen Piste wieder Schub, um
möglichst stabil aufzusetzen. Dann müssen die Bremsen gut funktionieren, denn am Ende der Landbahn fällt das
Gelände steil in eine Schlucht. Gut gegangen - es wird gejubelt und geklatscht.
südliches Einzugsgebiet des Rio San Pedro, Region Ravelo
Landung am Flughafen von Sucre und Strassenschild nach Ravelo
Unweit vom Flughafen steht ein Schild "55 km nach Ravelo". Ich warte lange vergeblich auf einen Lastwagen.
Dann wird mir gesagt, dass heute ein Feiertag sei, Tag der Verstorbenen (Dia de los Muertos), und es vermutlich
keine Transporte geben werde. Ich frage die Taxifahrer, doch die sagen, die Strasse sei in schlechtem Zustand
und mit ihren Fahrzeugen nicht befahrbar. Doch dann finde ich einen kaum sechzehn Jahre alten Taxifahrer, der
schlafend über beide Vordersitze ausgestreckt ist. Der kleine Bengel ohne Führerausweis ist bereit, mich nach
langer Preisverhandlung nach Ravelo zu fahren. Wir müssen noch tanken und fahren zurück nach Sucre.
Sicherheitshalber, für den Fall, dass wir stecken blieben, nimmt er noch drei etwa gleichaltrige Kollegen mit.
Eigentlich ist dieser Toyota ein fahrender Schrotthaufen. Die Armaturen fehlen fast gänzlich. Überall
hängen Kabel herunter, zwei davon werden kurzgeschlossen, um den Motor zu starten. Die Türen werden mit
Gummizügen festgemacht.Die Sitzlehne ist gebrochen, so dass ich mich vorne am Armaturenbrett festhalten
muss. Die Strasse ist sehr steinig, und es fühlt sich an, wie auf einem Presslufthammer zu sitzen, und
trotzdem fährt mein Chauffeur wie der Teufel. Es geht nicht lange, da fällt mir auch schon das
assettengerät auf die Füsse und die laute Musik verstummt. Doch ohne Musik geht es anscheinend nicht,
und so halte ich das Gerät in den Händen, bis eine Strassensperre auftaucht. Da der Führerausweis des
Fahrers fehlt, lässt uns die Polizei nicht passieren. Erst als ich 20 Bolivianos hinlege, geht die Fahrt
weiter. Es fängt an zu regnen. Die Strasse wird glitschig und bei Steigungen müssen die Jungs immer wieder
aussteigen und stossen. Ein Lastwagen mit gebrochener Hinterachse steht am Strassenrand in einer Wasserpfütze,
daneben stehen zwei Dutzend Indios im Regen und warten auf etwas Fahrbares. Der Regen ist so stark, dass
er grosse Steine auf den Weg spült. Endlich erreichen wir am späten Nachmittag die kleine Ortschaft Ravelo,
wo ich vergeblich nach einer Unterkunft suche, da alles geschlossen ist.
Ich habe gedacht, der DIA DE LOS MUERTOS diene der Andacht an die Toten und man ginge hierfür auf den
Friedhof. Stattdessen betrinken sich die Leute auf der Strasse und einige liegen halb tot vor ihren Häusern.
Dank meiner ergebnislosen Suche ist es spät geworden, und so beeile ich mich, mit 38kg auf meinem Buckel,
mühsam den Berg im Norden der Stadt hochschnaufend einen geeigneten Zeltplatz zu finden. Oben werde ich dann
kurz vor Einbruch der Dunkelheit fündig.
Kaum habe ich mich im Zelt verkrochen, bricht die Hölle los: Es gehen heftige Gewitter nieder, der Himmel
wird immer wieder durchbohrt von hellen Blitzen, denen gewaltiges Donnern folgt. Es dauert nicht lange
und ich liege in einer Wasserpfütze, woran sich bis zum Morgen nichts ändern lässt.
Montag, 3. November, Ravelo
Ich bin gerade damit beschäftigt, das durchnässte Inventar aus dem Zelt zu räumen, um es zu trocknen, als
plötzlich ein Indio mit seiner Frau vor dem Zelt steht. Sie wohnen etwas weiter oben und sind neugierig geworden.
Alles, was da herumliegt, wirkt auf sie offenbar ziemlich ausserirdisch, sodass sie mich mit Fragen löchern.
Sie staunen über meine Ausrüstung und die neuzeitliche Esskultur. Da gibt es verschiedene Säcke mit
vakuumverpackter Trockennahrung, haltbaren Käse, Trockenfleisch, Nüsse und getrocknete Früchte. Ferner
einen Benzinkocher, einen 4-Liter-Wassersack und wichtige Medikamente, sowie eine dünne aufblasbare
Liegematte, das allernötigste an Kleidung und einen Schlafsack.
Camp 1. Tag, nördlich von Ravelo
Es hat wieder angefangen zu regnen und ich stülpe meinen Poncho über, dann steige ich weiter den Berg hoch.
Bald finde ich unter einem trockenen Felsvorsprung Schutz. Ziemlich nachdenklich sitze ich auf dem Rucksack
und frage mich, wie es wohl weiter geht bei diesem Dauerregen. Nach Chochabamba sind es weit über 200 km.
Auf dem Weg nach Norden möchte ich das ganze zerklüftete Einzugsgebiet des Rio Grande durchqueren, und es
gibt keine Strassen in diesem wenig besiedelten Gebiet. Unter diesen Umständen werde ich an meine Grenzen
gehen müssen und es muss sich noch zeigen, ob ich mein gesetztes Ziel ohne Schaden erreiche. Dazu kommt, dass
mein Kartenmaterial im Massstab 1:50´000, das ich im Instituto Geográfico Militar in La Paz gekauft habe, nur
in Schwarz-weiss-Kopien erhältlich ist. Auf diesen Karten kann man die Wege und die Höhenlinien kaum voneinander
unterscheiden, was mein hirnverbranntes Abenteuer auch nicht leichter macht. In diesem weitläufigen und
weitgehend unerforschten Kakteengebiet möchte ich herausfinden, wie weit der Formenkreis der Sulcorebutia vasqueziana
gegen Norden verbreitet ist, hoffe aber auch, mir unbekannte Kakteen zu entdecken. Dann klart
es plötzlich auf und der Blick öffnet sich einem Spiel von Licht und Schatten unten in der Ebene von Ravelo.
Nach diesem Regen sind die Bauern mit ihren Ochsen fleissig am Pflügen, es ist Zeit, die Kartoffeln zu setzen.
Ziemlich aufgeregt gehe ich erstmals auf Kakteensuche und werde bald fündig. Kaum sichtbar zwischen grossen
Felsen und Steinplatten, Moos und Flechten wachsen kleine, bis zu 2 cm dicke Sulcorebutien mit kurzen oder längeren
Dornen. Mein Vergleich mit den in Kultur herangezogenen Sämlingen zeigt, dass es sich um Formen von
Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana handelt.
HJ 800 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Abra de Patoca, 4km nördlich von Ravelo, 3´200m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Es geht weiter steil hoch auf einen Pass, und wie immer zu Beginn einer Reise muss in den ersten Tagen der
innere Schweinehund überwunden werden, bis sich der Körper an die Strapazen und das Klima gewöhnt hat.
Und das, obwohl ich mich vor der Reise während Wochen konditionell gut vorbereit habe. Oben auf dem Pass
auf 3´500m erstreckt sich eine Ebene, die geprägt ist von roten, kuriosen Sandsteinblöcken. Bachläufe haben
die Felsen über viele Jahre blankgeschliffen. Nieselregen und dichte Nebelschwaden hängen geisterhaft in der
Landschaft, und mein Weg auf nacktem Felsen ist unsichtbar geworden. Doch es gibt hier einen schönen Platz für
die Nacht und ich hoffe morgen auf besseres Wetter.
Auf der Hochebene am Cerro Abra de Patoca, Camp 2. Tag
Dienstag, 4. November, am Cerro Abra de Patoca
Einige Nebelbänke hängen immer noch geisterhaft zwischen den Felsen, die ersten Sonnenstahlen bohren sich wie
Pfeile hindurch und fangen an zu tanzen: Es wird ein schöner Tag.
Über Felsplatten geht es weiter nach Norden auf der Suche nach dem Weg und Sulcorebutien. In Mulden zwischen
roten Sandsteinplatten, in Moos und Flechten kaum sichtbar, wachsen wieder Sulcorebutien vasqueziana ssp. losenickyana.
Es sind ähnliche Formen wie die zuletzt gefundenen.
HJ 800 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Abra de Patoca, 6km nördlich von Ravelo, 3´500m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Die kurios geformten Felsen sind bewachsen mit verschiedenfarbigen Flechtenarten, was sie aussehen lässt wie abstrakte Gemälde.
Verschiedene Flechtenarten
Ich fülle meinen Wassersack noch mit frischem Quellwasser und steige am Ende der Hochebene dem Cerro Ayjatata
entgegen. Von dort bietet sich ein fantastischer Blick auf die bizarre Gebirgslandschaft und in die Täler des
Einzugsgebiets des Rio Grande. Wie riesige Schildkrötenpanzer liegen die roten Sandsteinfelsen in der steilen
Landschaft. Nicht zu übersehen sind die weissen Blütentupfer zwischen den Felsen. Diese kleinen Pflanzen gehören
zur Gattung der Veilchen (Viola). Sie sind in hohen Lagen bis über 4´000m in vielen Gebieten Boliviens verbreitet.
Gebirgslandschaft Richtung Norden
Viola spec.
Cerro Ayjatata, 10km nördlich von Ravelo, 3´700m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien. Gut geschützt vor Erosionen wachsen zwischen den Steinen weitere Formen von Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana,
die HJ 801. Es gibt Jugendformen mit zierlicher und eine erwachsene Form mit langer, zum Teil starrer Bedornung, so dass man
vermuten könnte, es seien zwei verschiedenen Arten. Einzelne Exemplare sind bis zu 6 cm dick.
HJ 801 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Ayjatata, 10km nördlich von Ravelo, 3´700m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Vorbei am Cerro Ayjatata, dem höchsten Berg der Region mit knapp 4´000 m, geht es weiter nach Norden durch eine zerklüftete,
malerische Landschaft. Doch dunkle Wolken bedecken die Berggipfel. Es wird kalt und ein böiger Wind deutet darauf hin,
dass bald Regen kommen wird. Da es spät geworden ist, suche ich nach einem geeigneten Platz für die Nacht. Doch
vergebens: Wo man hinschaut, sieht man nur Felsen und steile Schutthalden.
Doch dann, als der Weg durch einen kleinen Polylepis-Wald führt, stehe ich plötzlich wie durch ein Wunder
auf einer kleinen flachen Wiese. Anscheinend bin ich nicht der erste, der diesen Ort als Nachtlager benutzt,
denn es gibt eine winzige, primitive, an einen Felsen gebaute Schutzhütte. Vermutlich wird sie von den wenigen
Menschen benutzt, die hier irgendwo leben und auf der Durchreise sind, um Ihre Produkte nach Ravelo zu bringen
oder einfach, um ihren nächsten Nachbarn zu besuchen. Sogar quellfrisches Wasser gibt es ganz in der
Nähe - was will man mehr?
Die Polylepis-Bäume gehören zur Familie der Rosengewächse. Sie haben einen gewundenen Stamm und eine rötliche,
abblätternde Rinde. Sie sind in hohen Lagen im ganzen Andengebiet verbreitet.
Weg entlang des Cerro Ayjatata nach Norden
Camp, 3. Tag am Cerro Wanukha
Mittwoch, 5. November, am Cerro Wanukha
Die Sonne wärmt schon früh am Morgen und ich geniesse ein erfrischendes Bad im Bach. Der Weg weiter
am Steilhang entlang ist anfangs gut, doch dann wird der Hang unterbrochen durch eine tiefe Bachrunse.
Die Seitenflanken und damit auch der Weg sind abgerutscht. Mit dem schweren Rucksack wäre es gefährlich
und schwierig, mich durch die Schlammmassen und Gesteinsbrocken zu balancieren. Lange gibt es also kein
Weiterkommen; ich muss meinen eigenen Weg bauen, um aus dieser misslichen Lage herauszukommen. Doch schon
kurze Zeit später werde ich am Fusse des Cerro Khewi-Khewi belohnt durch eine schöne, meist kurz bedornte
Population von Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana, HJ 802.
HJ 802 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Ayjatata bis Cerro Khewi-Khewi, 3´600m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Kulturpflanze: HJ 802 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana, Klon 4
Cerro Ayjatata bis Cerro Khewi-Khewi, 3´600m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Plötzlich bekomme ich wieder ein Hauch von Zivilisation zu sehen: Ein Indiohof steht mitten in einer bizarren
Felslandschaft. Eine Frau mit Kind und ihren Schafen zieht durch die karge Landschaft.
Indiohof am Cerro Khewi Khewi
Die Äquatorsonne ist wie ein Brennglas, ich bin verschwitzt, dreckig und geniesse ein erfrischendes Bad im nahegelegenen
Bach. Dann verkrieche ich mich unter die wenigen schattigen Büsche und esse etwas Käse, Trockenfleisch und das
letzte Stück Brot, das ich in Sucre gekauft habe.
Es ist spät geworden, dicke schwarze Regenwolken bedecken die Berggipfel. Da und dort entladen sich kräftige Gewitter.
Vergeblich suche ich nach einem geeigneten Platz für die Nacht. Einmal mehr: Wo man hinschaut, nur Felsen. Ich gehe
hastig weiter am Cerro Escabera vorbei, wo ich in einer Seitenschlucht Wasser finde für die Nacht.
Dann geht es steil hoch auf den Cerro Escalera. Ich muss mein Tempo reduzieren, denn jetzt, mit gefülltem
Wassersack, ist mein Rucksack wieder 4kg schwerer geworden. Doch meine Mühe wird erneut belohnt: Zwischen
den Steinen eingeklemmt wachsen auch hier kleinwüchsige Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana, die HJ 802a.
HJ 802a Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Escalera, 3´500m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien
Oben auf dem Berg suche ich zwischen den Steinplatten vergeblich ein geeignetes Camp. Ein grauer Gewitterschleier
überzieht die Täler, dann zischen die ersten Blitze und die Donner grollt zwischen den Felsen. Als die ersten Tropfen
fallen, finde ich endlich eine kleine, jedoch ungeschützte Stelle auf einem beängstigt schmalen Bergrücken, um
das Zelt aufzubauen.
Ich habe gerade die Sturmverspannungen mit schweren Steinen beschwert und die nötigen Wasserrinnen gegraben, als
es so richtig losgeht. Gewaltige Sturmböen und Regengüsse gemischt mit fingerdicken Hagelkörnern fegen über die Krete
und hämmern geräuschvoll an meine Zeltplane. Blitze schlagen in unmittelbarer Nähe in die Felsen und der laute Donner
strapaziert mein Trommelfell. Das erste Mal seit ich reise, bekomme ich richtige Todesangst, von einem Blitz getroffen
zu werden. Hilflos, gedemütigt und gepeinigt knie ich auf der Liegematte, halte das Zelt fest und bete um Gnade.
Erst um Mitternacht beruhigt sich die Lage und ich bin dankbar, auch etwas stolz, die Naturgewalten gemeistert und
unversehrt überstanden zu haben. Dass ich dabei schon wieder in einer Wasserlache liege, ist mir egal! So verbringe
ich trotz allem eine angenehme Nacht.
Gewittersturm am Cerro Escalera, Camp 4. Tag
Donnerstag, 6. November, am Cerro Escalera
Es ist ein strahlend schöner Tag, die Luft ist klar und die Fernsicht auf die Berge und Täler überwältigend. Da mein
Magen mit dem Rest von mir gestern Abend unter Schock stand und ich kaum etwas essen konnte, ist heute Morgen mein Hunger
fast unanständig gross. Ich frühstückte gemütlich an der Sonne. Der Boden ist vollständig bedeckt von Zwiebelgewächsen mit
weiss-lila Blüten, die wie Krokusse aussehen. Sie gehören zur Pflanzengattung Stenomesson aus der Familie der Amaryllidaceae.
Camp 4. Tag am Cerro Escalera
Stenomesson spec. Familie der Amaryllidaceae
Cerro Escalera, 3´800m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Guten Mutes mache ich mich auf den Weg, weiter Richtung Norden. Doch dann kommt so der Schock: Als ich
meine Schildmütze mit Nackenschutz aufsetzen will, kann ich sie nicht finden. Ich muss sie in der Schlucht
bei der letzten Wasserstelle liegengelassen haben.
Da ich trennbare Hosen habe, versuche ich den unteren Teil der Hose als Kopfbedeckung zu nutzen. Es ist etwas
eng, erfüllt aber den Zweck voll und ganz, auch wenn ich jetzt aussehe, wie eine Figur aus einem Kasperletheater.
Vom Cerro Escalera zum Cerro Polaca
Bald kommt eine Abzweigung. Der eine Weg führt nach Norden, hinunter zur weit entlegenen Flussgabelung des
Rio Toraka und des Rio Chayanta. Ich aber nehme den anderen Weg nach Nordosten, der an einer Bergflanke steil
abfällt. Hier sind Bauern gerade daran, mühsam ihre Felder zu pflügen. Mit aller Kraft zieht der Ochse den Holzpflug
durch den kargen steinigen Boden und eine Frau steckt sogleich Kartoffeln hinterher. Zwischen Felsen graben
Kinder Löcher, um weitere Kartoffeln zu stecken. Jede noch so kleine Fläche mit etwas Humus wird genutzt.
Pflügende Bauernfamilie, Cerro Polaka
Auch am Hang des Cerro Polaka entdecke ich schliesslich eine weitere Population von Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana,
HJ 803. Bei diesen Pflanzen ist ebenfalls klar zu sehen, dass es Jugend- und Altersformen gibt. Die jüngeren Pflanzen haben oft langgezogene
Höcker mit anliegenden feinen Dornen, die älteren längere, struppige und feste Dornen.
HJ 803 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Polaka, 3´100m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 803 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana, Klon 1 und 3
Cerro Polaka, 3´100m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Schon etwa zwei Kilometer weiter nördlich, auf einem langgezogenen Gebirgskamm, erlebe ich die nächste
Überraschung: Zwischen Steinen neben ansonsten karger Vegetation wachsen Sulcorebutien (HJ 804) mit sehr dunkler, beinahe
violett gefärbter Epidermis und sehr kurzen, teilweise krallenförmigen Randdornen. Leider gibt es am Standort keine Blüten,
und zu Hause wird sich herausstellen, dass die gesammelten Samen in Kultur nicht keimen, so dass ich lediglich vermuten kann,
dass diese Pflanzen ebenfalls in den Formenkreis der Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana gehören. Betrachtet man die bis
anhin gefundenen Pflanzen, so kann man durchaus Gemeinsamkeiten beobachten.
HJ 804 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
2km nördlich Cerro Polaka, 3´100m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Gerne hätte ich hier übernachtet, um die Pflanzen noch besser zu studieren, doch die Sonne brennt erbarmungslos
vom Himmel, und ich benötige dringend Wasser. Meine Kehle ist völlig ausgetrocknet, Schlucken geht nicht mehr und die
Augen fangen an zu flimmern. Ich fühle mich elend und schlapp. Meine Blase ist ebenfalls knochentrocken - obwohl ich
heute bereits vier Liter Wasser getrunken habe, habe ich den ganzen Tag nicht uriniert.
In einer Senke steht ein Indiohof. Ich gehe direkt darauf zu und denke zuerst, es sei niemand zu Hause. Ich rufe
laut "buenos tardes" und wiederhole es mehrmals. Dann stolpert endlich ein alter Mann etwas verschlafen aus einer
Türe. Ich solle mich doch auf das Lammfell auf der Holzbank setzen, meint er freundlich. In der Zwischenzeit
hat sich auch eine jüngere Frau mit einem kleinen Mädchen etwas ängstlich nach draussen gewagt. Ich vermute,
es ist seine Tochter mit Kind. "Hol doch etwas Wasser!", ruft er dem Kind zu, und schon steht ein kühler Tonkrug
auf dem Boden. Bevor der Mann sagen kann, es sei aber etwas trübe, lege ich den Krug an meine spröden Lippen und leere
ihn mit einem Zug. Er könne mir leider nicht mehr Wasser geben, da sie selber nur wenig hätten, sagt der alte Mann.
Normalerweise gäbe es hier oben ganz in der Nähe ein Wasserloch, doch das sei ausgetrocknet. Es sei ein weiter Weg
bis an die Wasserstelle unten in der dreihundert Meter tiefer gelegen Schlucht. Er könne erst am Morgen mit dem Esel
dorthin. Schade, denn das wenige Wasser ist bereits in meiner Speiseröhre verdampft und der Durst bleibt weiterhin
unerträglich. Als Dank für die Gastfreundschaft gebe ich dem Kind einen kleinen Sack Nüsse mit getrockneten Früchten.
Die Mutter nimmt es ihr aber gleich wieder weg, macht es auf und staunt über den Inhalt. Alle diese Köstlichkeiten
ind für sie neu und sogleich ist alles aufgegessen.
An der Flanke des nächsten Hügels steht ein weiterer Indiohof. Ein Mann, der mich schon frühzeitig entdeckt,
wirkt sehr ungepflegt, wie auch sein Hof. Obwohl er nur Quetchua spricht, hat er verstanden, dass ich nach
Wasser suche. Mit dem Finger deutet er auf einen Punkt hinter dem Haus. Dort stehe ich dann vor einem stinkenden,
grünen, von Algen besetzten Tümpel. Nicht einmal einen Zaun hat er um diesen gebaut, der verhindern könnte, dass
die Tiere, wie zum Beispiel seine Schweine, sich daran gütlich tun oder gar darin baden. Überall liegt Ziegen- und
Schweinekot, also frage ich den Bauern nochmals, ob dies auch wirklich die richtige Wasserstelle sei. Ich verstehe
nicht, was er mir genau sagen möchte, doch seine Ratlosigkeit gibt mir zu verstehen, dass er nicht begreifen kann,
was mit diesem Wasserloch nicht in Ordnung sei. Also fülle ich meinen Wassersack, denn ob ich jetzt verdurste oder
vom Wasser vergiftet werde, ist einerlei. Um das Wasser zu desinfizieren, füge ich mehrere Micropur-Tabletten hinzu.
Der Weg führt jetzt steil hinunter zum Rio Huaycoma. Ich hoffe, noch vor Anbruch der Dunkelheit bis an den Fluss zu
gelangen. Doch mir fehlt die Kraft und meine Knie fangen an zu zittern. Zum Glück befinde ich mich bald auf einer
flachen Wiese: ein idealer Ort zum Campen.
Camp, 5. Tag, oberhalb des Rio Huaycoma
Freitag, 7. November, Rio Huaycoma
Es ist fünf Uhr morgens, als mich der Durst wieder zu quälen beginnt, und ich möchte so schnell wie möglich zum Fluss gelangen.
Ich habe bereits mein Zelt abgebaut, als die Gegend im Osten in wunderschöner Morgenstimmung zu leuchten beginnt. Die Sonnenstrahlen,
wie Lanzen im Dunst, erleuchten das Flusstal, als würden sie, wie ich, gierig nach Wasser suchen. Im Gras und zwischen
niedrigen Büschen leuchten grosse weisse Echinopsis-Blüten im Sonnenlicht auf, (HJ 814 Echinopsis huotii). Interessant
ist zu beobachten, dass Blattschneiderameisen deren Blüten zerlegen und in ihre Nester schleppen. Ich möchte dieses Bild
fotografieren und lege mich auf den Boden, doch nicht für lange, denn die Arbeiterinnen beissen mich in die Beine, so
dass ich wie ein Tänzer herumhüpfe, um die Plagegeister loszuwerden. Es ist auf dieser Reise das erste Mal, dass ich
eine andere Kakteengattung entdecke. Ich hätte in dieser weitläufigen Region eine grössere Vielfalt an Sukkulenten erwartet.
HJ 814 Echinopsis huotii
Rio Huaycoma, 2´700m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Bald gelange ich in einen frischgrünen Akazienwald, wo auch noch einzelne Jacaranda-Bäume mit blau-violetten Blütenrispen
stehen. Überall zwitschern kleine grüne Papageien, die auf Bäumen nach Samen suchen. Ein Caracarra (kleiner Geier) sitzt
gemütlich im Geäst und beobachtet mich, wie ich fast lautlos durch den Wald schlendere. In diesem lockeren Gehölz wachsen
einige grosse Baumcereen und zwischen den Sträuchern ranken Cleistokakteen nach mehr Licht.
Abstieg zum Rio Huaycoma
Am Flussbett angekommen, mache ich eine längere Pause, um gemütlich zu frühstücken und Wäsche zu waschen. Am Ufer gibt es
grosse schattenspendende Akazien und genügend trockenes Holz, um Feuer zu machen. Mein Durst zieht mich wie ein Magnet zu
dem nahegelegenen Gewässer, das aus einem Seitental kommend über Steine plätschert. Es gibt einen kleinen Pool, wo ich mich
sogleich hineinlege und das Wasser in meine Kehle sprudeln lasse. Es ist klar und angenehm erfrischend, doch merke ich
schnell, dass es salz- und schwefelhaltig ist. Also wieder nichts mit gutem Trinkwasser! Mein Durst ist jedoch grösser
als die Vernunft, was ich später noch bitter bereuen werde.
Rastplatz am Rio Huaycoma
Ich ziehe die gewaschenen Kleider gleich wieder an, um einen Sonnenbrand zu vermeiden. Es ist zwar erst neun Uhr, doch
die Hitze zwischen den Flusssteinen ist jetzt schon unerträglich. Ich koche eine Suppe, esse dazu einen völlig zerknautschten
Weichkäse mit etwas Trockenfleisch. Zum Nachtisch genehmige ich mir einen Schokoladenriegel, den ich aus der Packung saugen muss.
Ich sitze im tiefen Schatten auf einem grossen Stein, geniesse die Natur und schreibe Tagebuch, als plötzlich mein
Magen zu rumpeln beginnt: Durchfallalarm! Instinktiv handelnd schaffe ich es gerade noch rechtzeitig, meine Hosen
runterzulassen. Aber dann ist der Teufel los, und ich muss für längere Zeit in der Hocke bleiben. Nach der
Einnahme einiger Imodium-Tabletten warte ich, bis sich die Lage etwas beruhigt hat.
Inzwischen ist auch die restliche Wäsche trocken geworden, also gehe ich weiter zum nahegelegenen Rio Huaycoma
hinunter. Hier gibt es keinen Schatten mehr, nur glühende Steine. Also beeile ich mich, möglichst schnell über den
Fluss zu kommen. Das Wasser ist schlammig braun wie Kartoffelsuppe - zum Trinken nicht geeignet. Ich ziehe die
Schuhe aus, hänge sie über die Schulter und taste mich vorsichtig durch das trübe Nass. Mit dem schweren Rucksack
zwischen den glitschigen Steinen zu balancieren, erfordert Geschick und ist für die Füsse eine ziemliche Tortur.
Zwischendurch muss ich vor Schmerz laut aufschreien, wenn mir ein schwerer Stein über den nackten Fuss kollert.
Ich stehe bereits in der Mitte im knietiefen Wasser, als mein Bauch wieder anfängt zu rumpeln. Nein, nicht schon
wieder, und vor allem nicht jetzt! Es gibt jedoch kein Entrinnen mehr aus dem Fluss, und die Sauerei ist vorprogrammiert.
Ich bin hilflos diesem Naturereignis ausgeliefert und stehe da, wie ein Wasserbüffel im Reisfeld und lasse es einfach
geschehen. Danach fühle ich mich im wahrsten Sinne erleichtert, und ich lache grölend ins weite menschenleere
Tal hinaus. Was für ein Schlamassel!
Am Ufer angelangt lege ich mich in den Fluss, in die braune schlammige Brühe. Für lange Zeit bleib ich liegen, um meinen
völlig überhitzten Körper zu kühlen. Die Temperatur unterscheidet sich jedoch unwesentlich von der Lufttemperatur,
dennoch ist es angenehm und erfrischend für meinen geschundenen Körper.
Weiter geht es über eine flimmernde Steinwüste flussabwärts. Hier gibt es keinen Weg, doch laut Karte soll ein
solcher in der nächsten Schlucht wieder in die Berge führen. Bei dessen Eingang hoffe ich auf gutes Trinkwasser, denn
mein Durst quält mich immer noch. Ich entdecke feuchten Sand, ein gutes Zeichen! Man könnte hier auch graben, um an
das kühle Nass zu gelangen, doch glaube ich, dass es weiter oben, wo der Schutt weniger hoch abgelagert ist, endlich
sauberes Wasser gibt. Genau dort, wo sich die Schlucht gabelt und der Weg ins Gebirge führt, sprudelt dann tatsächlich
klares, frisches Trinkwasser aus der Erde. Nicht gegen einen Sack Gold würde ich diese Köstlichkeit eintauschen! Wie ein
kleiner Junge plansche ich in dem badewannengrossen Pool und erfreue mich am Leben und der Natur.
Anschliessend führt der Weg weiter durch einen lockeren Akazienwald, der etwas Schatten spendet. Mein Durchfall hat mich sehr
geschwächt, es ist drückend schwül. Ich setze mühsam einen Fuss vor den andern. Dann endlich, nach dreihundert Höhenmetern,
kommt die Erlösung: Ich finde einen schönen Platz für die Nacht, inmitten grosser Akazienbäumen. Ich fühle mich gut,
aber sehr müde, antriebslos. Alle Mahlzeiten von heute sind verloren gegangen, also muss ich dringend etwas essen, um
wieder zu Kräften zu kommen, obwohl ich gar keinen Hunger habe. Ich sitze noch eine Weile draussen an der mittlerweile
kühlen frischen Luft und lasse die schönen und weniger schönen, aber auch lustigen Ereignisse des heutigen Tages
nochmals Revue passieren.
Camp, 6. Tag nördlich Rio Huycoma
Samstag, 8. November, Rio Huycoma
Ich fühle mich wesentlich besser und wandere weiter durch den angenehm duftenden Akazienwald. Rot-schwarze Spechte
hämmern an die Stämme. Bald verlasse ich den Wald und gelange in offenes Gelände. Dabei durchquere eine tief eingeschnittene
Bachrunse, wo das wenige Wasser über Jahrtausende den farbenprächtigen Felsen glattgeschliffen hat, so dass es aussieht
wie ein wunderbares Gemälde.
Vom Wasser glattgeschliffener farbiger Fels
Eben habe dieses schöne Motiv fotografiert, als ich plötzlich, in der einen Hand noch das Stativ haltend und in der
anderen die Kamera, auf dem glitschigen Felsen ausrutsche und auf den Rücken falle. Ich bin wohl für kurze Zeit
bewusstlos, ringe dann nach Luft und liege eine Weile regungslos da. Glücklicherweise erhole ich mich jedoch schnell,
nur eine kleine Prellung am Ellbogen bleibt als Folge, so dass es etwas wackelig weiter den Berg hoch gehen
kann, vorbei an einem Indiohof.
Es ist erst neun Uhr morgens, der Himmel ist wolkenlos und die Hitze bereits wieder unerträglich. Ich flüchte unter
den letzten Akazienbaum und frühstücke erst einmal gemütlich. Nachdem ich viele feine Sachen ausgepackt habe, sehe ich,
dass bei der Salami das Fett ausgelaufen ist: Sie ist nur noch halb so gross. Als Folge meiner gestrigen Durchfallattacke
ist mein Hunger heute kaum zu bändigen.
Unvermittelt kommt von einem weiter unten gelegenen Indiohof eine vollbepackte Eselskarawane den Berg hoch um die
Ecke, begleitet von einem jüngeren und einem älteren Mann. "Buenos Dias!", rufe ich unter dem Busch hervor. Ich glaube,
der alte Mann erschrickt ein wenig. Zuerst steht er etwas ratlos da, setzt sich dann aber zu mir. Er spricht nur
die Quechua-Sprache, und wir verstehen einander kaum. Dass er sich bedienen soll an meinem Frühstückstisch, hat er
aber auf jeden Fall sofort verstanden. Sein Hunger ist offenbar noch grösser als meiner, und ich muss, obwohl
immer noch hungrig, meinen Proviant wieder einpacken. Ich will nicht unfreundlich sein, aber meine Esswaren sind
genau kalkuliert. Trotzdem gebe ich ihm noch einen kleinen Sack mit Nüssen und Trockenfrüchten mit auf den Weg. Er
und sein Sohn möchten mit den Tieren vollgepackt mit Kartoffeln ins östlich gelegene Sapsi, das ist ein Fussmarsch
von zwei Tagen. Die Esel sind inzwischen längst über alle Berge und der alte Mann eilt hastig hinterher.
Eselskarawane
Auch ich mache mich wieder auf den Weg und entdecke auf 2´900m am Cerro Tojito Khasa im lehmigen Boden flachkugelige,
bis 10cm dicke Kakteen. Die spiralförmigen Rippen lösen sich in rundliche Höcker auf und die kahlen Knospen wachsen
mehrheitlich aus tiefer gelegenen Areolen, was darauf hindeutet, dass es sich um eine Sulcorebutia handeln könnte. Leider
gibt es nur wenige Pflanzen und alle ohne reife Samen. Ich hoffe, auf dem Weg zum Cerro Cabra Achora noch weitere Standorte
dieser unbekannten Art zu finden, doch dies wird leider nicht geschehen. Somit gibt es von dieser Pflanze weder
Kulturpflanzen noch eine Feldnummer. Im Nachhinein kann ich jedoch sagen, dass sie grosse Ähnlichkeit zeigt zu der
später in Carasi gefundenen HJ 809 Sulcorebutia torotorensis v. fa. Nicht zu übersehen sind auch die rot leuchtenden
Blüten der Austrocylinderopuntia vestita, die in weiten Teilen Boliviens verbreitet sind.
Sulcorebutia spec.
Cerro Tojito Khasa, 2´900m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Austrocylinderopuntia sahferi
Cerro Tojito Khasa, 2´900m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Die letzten 300 Höhenmeter auf den Cerro Cabra Achora sind brutal. Stechende Mittagssonne, kein Schatten und
ein leerer Wassersack. Gerne würde ich auf diesem langgezogenen Bergrücken bleiben, um nach weiteren Kakteenstandorten
zu suchen und wenn möglich auch die Nacht hier zu verbringen. Doch da ich dringend Wasser brauche, steige ich in eine
enge, mit Büschen bewachsen Schlucht und werde glücklicherweise bald fündig.
Immer mit Blick auf den Boden steige ich im Zickzack weiter den Gebirgskamm hoch. Dann stosse ich einen
Freudenschrei aus: Kaum sichtbar im Schotter zwischen Steinen wachsen kleine Gruppen von Sulcorebutien mit sehr
dunklem Körper und anliegenden kurzen Dornen. Sie sind kaum von der zuvor gefundenen Sulcorebutia HJ 804 zu
unterscheiden. Leider werden auch die wenigen Samen, die ich finden kann, in Kultur nicht keimen und somit der
Sammlung vorenthalten bleiben. Da es keine blühenden Pflanzen gibt, ist eine abschliessende Beurteilung einer möglichen
Verwandtschaft nur zu vermuten. Doch trotz der ungenügenden Informationen möchte ich diese Art mit Vorbehalt ebenfalls
der Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana zuordnen.
HJ 905 Sulcorebutia vasqueziana ssp. losenickyana
Cerro Cabra Achora, 3´200m, ca. 12km südlich von Challcha, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Finde die ca. 14 Pflanzenkörperchen!
Ich wandere noch ca. zwei Kilometer weiter den Bergrücken entlang und finde einen schönen Platz zum Campen. Bei meinem
abendlichen Rundgang entdecke ich zu meiner Überraschung weitere mir unbekannte Kakteen. Sie wachsen einzeln oder in kleinen
Gruppen und sind ca. 5cm dick. Sie haben meist anliegende bis leicht abstehende, feine, selten auch etwas kräftigere Dornen.
Die Knospen wachsen aus den tiefer gelegenen Areolen. Eine rot blühende Pflanze, die ich am nächsten Tag finden werde, deutet
darauf hin, dass es eine Sulcorebutia ist, die HJ 806. Wie sich später herausstellen wird, ist diese Pflanze eine neue Art
und gehört in den Formenkreis der Sulcorebutia dorana. Dazu mehr am Typstandort der Sulcorebutia dorana HJ 807 aus der
Region von Challcha.
Camp 7. Tag am Cerro Choja Punta
HJ 806 Sulcorebutia dorana
Cerro Choja Punta, 2´900m, ca. 10km südlich von Challcha, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Kulturpflanze: HJ 806 Sulcorebutia dorana, Klon 1
Cerro Choja Punta, 2´900m, ca. 10km südlich von Challcha, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Sonntag, 9. November, am Cerro Choja Punta
Während der Morgendämmerung steige ich den Bergrücken hinunter. Die Nacht war kühl und Tautropfen hängen wie Perlen am Gras.
Es herrscht unendliche Stille. Der Horizont im Osten leuchtet wie Feuer und durch die Berge geht ein Spiel aus Licht und
Schatten: ein neuer Tag. Auf rutschigem Schotter wandere ich 500 Höhenmeter hinunter zum Rio Huanuma. Das geht ganz schön
in die Knie, was einige Pausen nötig macht. Plötzlich ertönt sanfte Flötenmusik. Sie stammt von einem Hirtenjungen, der weiter
unten auf einem Stein sitzt und nach den Ziegen schaut. Die Klänge wirken beruhigend in diesem eher lebensfeindlichen, schroffen
Tal. Und sie zeigen, dass sich die Menschen hier an dem wenigen, was sie haben, erfreuen können.
Unten im breiten Flussbett liegen überall grosse Steine und Felsen. Es ist schwierig und kräfteraubend, mich in dieser
ausgetrockneten Steinwüste flussabwärts zu bewegen. Einen Weg gibt es nicht. Und auch keinen Schatten: Sich hinzusetzen
geht nicht, weil die Steine so heiss sind, dass man darauf Spiegeleier braten könnte. Völlig ausgetrocknet erreiche ich
das lang ersehnte enge Seitental, das nach Osten abzweigt. Und dann jauchze ich vor Freude: Frisches Wasser sprudelt aus
dem sandigen Boden und ein hoher Akazienbaum spendet Schatten - fabelhafte Umstände für eine Mittagspause.
Doch diese ändern sich nach der Mahlzeit schnell, denn das Tal wird jetzt immer enger, und ich suche vergeblich nach dem
Weg, der raus aus dieser an ihrem Ende nicht begehbaren Schlucht und weiter in die Berge führen soll.
So kämpfe ich mich durch das Gestrüpp den Steilhang hoch, in der Hoffnung, den Weg doch noch zu finden. Der steinige Boden
ist rutschig. Plötzlich verliere ich das Gleichgewicht und falle unkontrolliert in die lang-stacheligen Akazienbüsche. Jede
Bewegung, die dazu geeignet ist, mich aus dieser Folterkammer zu befreien, ist eine Qual. Ich schreie und fluche wie ein
Rohrspatz. Wie schon oft stelle ich mir dann die Frage: Wieso tue ich mir das eigentlich an, mich in dieser menschenfeindlichen
Natur herumzuquälen? Doch es scheint, als bräuchte ich das, um glücklich zu sein. Nie aufgeben - und weiter geht´s.
Diesmal meist kriechend den Steilhang hoch. Es dauert nicht lange und ich stehe plötzlich auf dem gesuchten Weg, der weiter
in die Berge führt. Vorbei am Cerro Tacuri verlasse ich diesen nicht gerade erholsamen Ort und gewinne immer mehr an Höhe.
Plötzlich stehe ich unerwartet auf einer Strasse, die von Sapsi kommend nach Challcha führt. Diese ist auf der Karte jedoch
nicht eingezeichnet. Beim Weitergehen, stelle ich fest, dass die Strasse an mehreren Stellen verschüttet und somit für
Fahrzeuge unpassierbar ist.
Kurz vor Challcha werde ich von einem kurzen, aber heftigen Gewitter überrascht. Innert kürzester Zeit ist die Landschaft
von einer dicken Hagelschicht bedeckt, und dann schüttet es wie aus Kübeln. Überall sprudelt braunes Wasser von den
Bergflanken und verwandelt die Strasse in einen reissenden Gebirgsbach. Im Regenponcho, die Arme ausgebreitet, stehe
ich da wie eine Vogelscheuche und gebe mein Bestes, einigermassen trocken zu bleiben.
Bald erreiche ich Challcha, ein kleines Dorf mit wenigen Häusern. Mein Erscheinen sorgt für grosse Aufregung. Die Menschen
kommen von überall hergelaufen und sammeln sich am Brunnen, wo ich gerade meinen Wassersack fülle. Sie sagen anfänglich
nichts, sondern stehen einfach da und staunen darüber, dass ein Mensch so viel Wasser trinken kann. Ein Gringo sei
hier noch nie vorbeigekommen, meint ein alter Mann. Ein anderer fragt, woher ich komme und wohin ich gehe. Wieder
andere staunen über den grossen Rucksack und die schweren, für sie völlig unpraktischen Bergschuhe. Ein junger Bursche
möchte wissen, wie schwer mein Rucksack sei. Er solle ihn auf die Schulter nehmen, antworte ich ihm. Erfolglos versucht
er das schwere Ding vom Boden zu heben und fragt, ob ich Steine sammele. Daraufhin wollen es alle andern auch versuchen,
doch es gibt nur Kopfschütteln und lange Gesichter, und der Rucksack bleibt weiterhin am Boden.
Ich frage, ob der Weg dort drüben nach Carasi führe. Nein, sagt der alte Mann, der Weg hinunter zum Rio San Pedro sei nicht
mehr passierbar. Es gebe aber noch einen anderen über Chochabambilla nach Nordwesten, ich solle beim Schulhaus nochmals
fragen. Mehr oder weniger locker schwinge ich meinen Rucksack auf die Schultern und begebe mich zum Schulhaus. Dass
die Gesichter jetzt noch länger werden, war vorauszusehen. Die Lehrer sind begeistert über meine Fusswanderung durch
Bolivien. Sie bestätigten mir, dass der Weg nach Nordosten richtig sei. Da dieser Weg über Chochabambilla zum
Rio San Pedro nicht eingezeichnet ist, zeige ich ihnen auf meiner Karte den jetzigen Standort und hoffe auf mehr
Informationen. Die beiden Lehrer schauen lange, sehr lange auf die Karte, drehen sie mehrmals im Kreis herum und legen
sie dann kopfschüttelnd wieder auf den Tisch. Vermutlich sind sie von den vielen schwarzen unförmigen Linien überfordert.
Im Gehen meinen sie, ich solle einfach immer geradeaus, den Weg entlang, und zeigen auf einen Hügel.
Es ist spät geworden und ich mache mich sogleich auf den Weg auf den Cerro Cruz Punta. Oben angelangt finde ich überraschenderweise
einen idealen Platz für die Nacht mit imposanter Rundsicht auf die Berge. Kurz zuvor habe ich einige wenige kleine Kakteen
gesehen, die mich an meine letztgefundene Sulcorebutia HJ 806 erinnern. Hier oben auf 2´900 Metern wachsen diese Sulcorebutien
mit der Feldnummer HJ 807 zahlreich, meist sprossend und in kleinen Gruppen. Sie sind meist flachkugelig, 2 - 5cm dick und mit sehr
unterschiedlichen Körperfarben. Die Dornen, ebenfalls verschiedenfarbig, sind meist anliegend bis leicht abstehend, feinnadelig,
selten auch fest. Die Blütenfarbe variiert zwischen hell- bis dunkelviolett, selten gibt es auch rote. Die aus Samen gezogenen
Pflanzen und jahrelange Beobachtungen in Kultur werden zeigen, dass es sich um eine neue Art handelt. Sie wird im Jahr 2003 von
Willi Gertel im Heft "Kakteen und andere Sukkulenten" 54(2): 31. (2003) als Sulcorebutia dorana erstbeschrieben,
benannt nach meiner Frau Dora.
Challcha
Camp 8. Tag, Challcha
HJ 807 Sulcorebutia dorana
Cerro Cruz Punta, 2´900m, 2km nordöstlich von Challcha, Dep. Potosi, Provinz Chuquisaca, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 807 Sulcorebutia dorana, Klon 1, 2, 4, 10, 11, 12, 14, 15, 26, 50 (2x), 54, 57 und 58.
Cerro Cruz Punta, 2´800m, 2km nordöstlich von Challcha, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Montag, 10. November, Challcha
Schon sehr früh morgens hüpfe ich wie ein Schulbub von Stein zu Stein den Hang hinab. Die Nacht war kühl und ich sehne mich
nach den ersten Sonnenstrahlen. Der Himmel ist wolkenlos, und ein angenehmer Kräuterduft liegt in der Luft. Ich freue mich
auf den heutigen Tag und hoffe, dass er mir gnädig ist. Einen Weg gibt es keinen hier in den Felsen, aber man kann einen weit
unten sehen, auf dem Bergrücken, der nach Nordwesten führt. Was man aber noch nicht sehen kann, sind die senkrecht verlaufenden
Felsbänder etwas weiter unten. Dort angekommen, denke ich, dass es da kein Durchkommen gibt. Doch schliesslich finde ich ein
schmales Band, gerade einmal so breit wie meine Schuhe. Ausrutschen hätte schlimme Folgen.
Dank dieser etwas waghalsigen Aktion entdecke ich hier in den Felsen eine mir zu diesem Zeitpunkt unbekannte Parodia,
die HJ 808. Die bis zu 12cm dicken Pflanzen mit hakigem, nach unten gebogenen Mitteldornen bilden kleine Haufen.
Die aus Samen gezogenen Pflanzen werden zeigen, dass diese Parodia in den Formenkreis der Parodia zecheri gehört.
HJ 808 Parodia zecheri fa.
Cerro Cruz Punta 2´700m, 3km nordöstlich von Challcha, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Am gleichen Standort, jedoch im flacheren, steinigeren Gelände, wächst wieder Sulcorebutia dorana. Sie unterscheidet sich nicht von den letztgefundenen.
Es ist gerade Mittagszeit, als ich in der weitläufigen Siedlung von Chochabambilla an einem Indiohof vorbeikomme. Im
Innenhof sind Stimmen zu hören, und ich rufe laut "Buenos Dias". Es wird sofort still, schon bald kommen zwei Männer
aus einer knarrenden Tür. Meine Erscheinung, vor allem die kurzen Hosen und meine Kopfbedeckung, sorgen für Verwunderung.
Eigentlich wollte ich sie nur fragen, ob ich auf dem richtigen Weg sei hinunter zum Rio San Pedro. Doch dann bitten sie
mich höflich, mit Ihnen das Mittagessen einzunehmen. Obwohl ich gar nicht hungrig bin, wäre es für die Leute eine Beleidigung,
ihre Einladung abzulehnen. Ich wäre schon glücklich über einen Schluck Wasser und einen Platz im Schatten.
Im Innenhof, unter einer mit Maisblättern bedeckten Laube, sitzt eine Frau am Boden und ist gerade dabei, Maiskörner
zu mahlen. Sie wiegelt den halbrunden, glattgeschliffenen Flussstein in einer Steinschale hin und her und legt immer wieder
Körner dazwischen, bis sie zu Mehl werden. Das stoppelbärtige Gesicht ihres Mannes, der auf einer Holzbank sitzt und eine
Kartoffelsuppe löffelt, verrät, dass er nicht nur von Indios abstammt. Seine Vorfahren seien aus Spanien gekommen, sagt er,
mehr wisse er auch nicht.
In der Zwischenzeit hat mir seine Tochter, die ebenfalls hier mit ihrer Familie wohnt, in einem handgeschnitzten Holzteller
eine Suppe gebracht. Der ebenfalls aus Holz geschnitzte Löffel ist so gross und dick, dass ich Mühe habe, die Kartoffelstücke
aufzuladen, geschweige denn in den Mund zu stopfen. Die Suppe mit wenigen Kräutern ist fast ohne Geschmack. Dafür schmecken
die schon ein Jahr alten, völlig zusammengeschrumpften Kartoffeln intensiv. Sie werden in kühlen tiefen Erdhöhlen aufbewahrt,
um ein Austrocknen zu vermeiden. Ein Überleben in dieser trockenen Einöde ist abhängig von der optimalen Überwinterung der
Kartoffeln, die als Saatkartoffeln auch im Frühjahr noch keimfähig sein müssen.
In der Zwischenzeit hat sich ein kleiner Junge zu uns gesellt. Er sitzt auf einem Kartoffelsack und übt die ersten Töne auf der Flöte.
Besuch im Indiohof in Chochabambilla
Bevor es an die Arbeit zurückgeht, verteilt Jose, das Familienoberhaupt, Kokablätter zum Kauen. Er sagt, es gäbe Kraft
und sei gut für das Gemüt. Dann gehen die Männer auf das Feld und holen vier Stiere, um ihnen das Geschirr fürs Pflügen
anzulegen. Jose zeigt mir, wie man die Holzbalken, die an den Enden eine halbmondförmige Vertiefung haben, und genau
auf die Nacken der beiden Stiere passen, befestigt. Der Balken wird direkt hinter die Hörner gelegt und mit Lederriemen
fest verbunden. Es muss darauf geachtet werden, dass keine Schürfstellen an der Haut der Tiere entstehen. Jetzt erst wird
der eigentliche Holzpflug, bestehend aus einer ungefähr fünf Meter langen Holzstange, an deren Ende ein Pflock mit 45 Grad
Neigung montiert ist, in der Mitte des Querbalkens befestigt.
Befestigen des Holzpflugs an den Stieren
Saatkartoffeln
Fast mühelos ziehen die Stiere die Pflüge durch den harten, kargen Boden. Weil beim Gehen und Wenden die Furchen
gleich wieder zugedeckt werden, müssen die Kartoffeln sofort hinein, was von den Frauen besorgt wird.
Beim Pflügen und Kartoffeln setzen
Ich schaue noch eine Weile zu und staune über die einfache, aber gut funktionierende Arbeitsweise, die sich seit
Jahrhunderten bewährt hat. Dann gebe ich der Frau noch einen Sack Nüsse als Dank für die Gastfreundschaft, winke
allen zu und verschwinde in Richtung Rio San Pedro. Schon bald gelange ich in der unteren Quebrada Toero in eine
völlig neue, geheimnisvolle Welt von Pflanzen. Im Geäst der Akazienbäume wachsen verschiedene Bromelien und Tillandsien,
aber auch Flechten und Moose. Auf Lichtungen findet man auch gelb blühende Opuntien-Sträucher und rankende, mit Knospen
besetzte Harrisia-Kakteen.
Trockenwald in der Quebrada Toero mit Tillandsien
Opuntia schickendantzii fa.
Quebrada Toero, 2´400m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Harrisia tetracantha
Quebrada Toero, 2´400m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Der Weg führt in steilen Kurven in die Schlucht hinab, Akazien wie auch Flaschenbäume (Ceiba chodatii) spenden etwas Schatten
in diesem Glutofen. Letztere Pflanzenart gehört in die Gattung der Seidenbäume, auch Palo Borracho genannt, und ist vor allem
im Grand Chaco von Bolivien verbreitet.
Akazie visco, Pflanzenfamilie der Hülsenfrüchtler, Mimosengewächse
Quebrada Toero, 2´300m Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivi Ceiba chodatii, Gattung der Seidenbäume
Quebrada Toero, 2´300m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Im unteren Teil des Abstiegs blockieren immer wieder umgefallene Akazienbäume den Weg. Ein Ausweichen im steilen
Gelände ist nicht möglich, also zwänge ich mich durch das stachelige Geäst, was blutende Kratz- und Stichwunden
verursacht. Der salzhaltige Schweiss in den Wunden verschlimmert die Schmerzen zusätzlich. Und als ich auf einer
Schutthalde nach bald 800 Höhenmetern Abstieg ausrutsche und mich am Knie verletze, bin ich ziemlich am Ende meiner
Kräfte. Ich brauche jetzt dringend Wasser und einen Platz für die Nacht.
Ich bin schon fast in der Talsohle angelangt, als eine merkwürdige Pflanze im steinigen, trockenen Boden, mit frischgrünen,
krautstielartigen, grossen Blättern und einem becherartigen Blütenstand vor mir steht. Es ist eine Synandrospadix vermitoxicus,
die zur Familie der Aronstabgewächse gehört und die einzige Art ist, aus der die Gattung besteht. Noch mehr überrascht mich
später im lockeren Wald die flächendeckend wachsende Aloe vera. Das Herkunftsgebiet dieser Pflanze ist bis heute ungewiss.
Es wird jedoch vermutetet, dass sie aus dem Mittelmeerraum bzw. Nordafrika stammt. Die vielseitige Verwendung dieser Pflanze
hat dazu geführt, dass sie weltweit in vielen tropischen, subtropischen und trockenen Regionen angepflanzt wurde. So konnten
sich die Pflanzen ungehindert auch in abgelegene Gebiete wie hier verbreiten. In Bolivien wird die Pflanze bereits als
einheimisch betrachtet und man findet sie auch in einheimischen Pflanzenbüchern.
Synandrospadix vermitoxicus, einzige Art dieser Gattung, Familie der Aronstabgewächse
Quebrada Toero, 1´900m Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Aloe vera, Familie der Grasbaumgewächse
Quebrada Toero, 1´800m, Dep. Potosi, Provinz Chayanta, Bolivien Dann höre ich plötzlich Wasser rauschen. Nur schon das Geräusch sorgt bei mir für einen Energieschub. Und dann der
langersehnte Höhepunkt des Tages, das Eintauchen in das für mich so lebenswichtig gewordene Element. Was für eine Wohltat,
das kühle Nass über die schmerzende Haut fliessen zu lassen, den Kopf zu erfrischen, um den Verstand nicht ganz zu verlieren
und die von Schmerz gepeinigten Füsse zu kühlen! Ganz in der Nähe, oberhalb des Baches unter einer schräg stehenden Akazie,
gibt es einen idealen Platz für die Nacht. Was will man mehr. Bevor ich das Zelt aufbaue, räume ich Äste und herumliegende
Stacheln weg, um einem Platten an der Gummimatratze vorzubeugen.
Ich wasche Kleider, koche auf offenem Feuer und geniesse die Einsamkeit in unberührter Natur. Zwischendurch nehme ich immer
wieder mal ein erfrischendes Bad, bis spät in die Nacht.
Camp 9. Tag am Rio Toero
Dienstag, 11. November, am Rio Toero
Es ist fünf Uhr morgens, als ich brutal überfallen werde: nicht von irgendwelchen Halunken, sondern von einer Invasion fressgieriger
Blattschneiderameisen! Tatort ist mein Zelt, besser gesagt mein durchgeschwitzter Schlafsack. Ein hilfloser Gringo kämpft gegen eine
Grossmacht Ameisen. Doch wo kommen diese Beissmaschinen her mit ihrem überdimensionalen Fressapparat, der aussieht, wie ein Schneidebalken
eines Mähdreschers? Erst, als ich meinen Rucksack und das dazugehörige Inventar auf die Seite schiebe, realisiere ich die eigentliche
Katastrophe: Denn dort sieht es schlimmer aus, als in der Rush Hour von Los Angeles. Ameisenstrassen kommen aus dem völlig durchlöcherten
Zeltboden und führen direkt in den Rucksack. Wutentbrannt leere ich diesen und damit auch ein ganzes Nest von Ameisen. Diese unfreundliche
Behandlung macht sie aber zu Bestien, und ich muss das Zelt fluchtartig verlassen. Doch ich kann nicht zusehen, wie die Biester meine
lebenswichtigen Vorräte einfach wegputzen. Immer wieder gelingt es mir, einige Beutel mit Lebensmitteln in Sicherheit zu bringen.
Unglaublich, sogar die reissfesten Kunststoffsäcke mit den Nüssen und Trockenfrüchten haben die Beisser einfach aufgeschnitten!
Ich schäume vor Wut und muss mich beruhigen. Also nehme erst einmal ein erfrischendes Bad in der Strömung des Baches. Diese Massage
erweckt meine Lebensgeister wieder. Nun kann ich weiterwandern, auf Flusssteinen, talwärts. So erreiche ich bald das weite Flusstal des
Rio San Pedro. Der erste Blick in diese glühend heisse und flimmernde Steinwüste macht mir Angst. Ich schaue auf der Karte, wie es weiter
gehen soll nach Carasi. Es ändert nichts, es wird ein schwieriger Tag werden. Schon bald erreiche ich die tosende Flut des Rio San Pedro
und kann es kaum fassen, einen so gefährlichen Fluss vor mir zu haben, der mit lautem Grollen Tonnen von schweren Steinen abwärts treibt.
Ein Überqueren an dieser Stelle wäre reiner Selbstmord. Die Schlammpfützen am Rand zeigen, dass das Wasser noch vor Kurzem wesentlich höher
gestanden haben muss. Ich bewege mich weiter flussaufwärts und finde eine Stelle, wo die Strömung ruhiger ist. Ohne Rucksack mache ich den
ersten Versuch, den Fluss zu durchqueren.
Um meine Füsse zu schonen, behalte ich die Socken an. Es ist schwierig, sich im braunen, trüben Wasser zu orientieren und zwischen den
glitschigen Steinen Halt zu finden. In Ufernähe sind die Probleme noch gut zu bewältigen, doch in der Mitte kann ich mich in der hüfthohen
Strömung kaum mehr halten und schreie vor Schmerz, wenn mir grosse Steine über die Füsse kollern. Dann reisst mich die Strömung in die Fluten
und nur mit aller Kraft kann ich mich ans andere Ufer retten. Ermattet liege ich am Ufer im seichten, warmen Wasser und schaue zum Rucksack
hinüber, der so nahe und doch so weit weg ist. Nicht nur der Fluss wird jetzt zum Problem, sondern auch die unerträglich heisse Mittagssonne.
Herumtanzen in dieser misslichen Lage ist eigentlich nicht angesagt, doch man wird dazu gezwungen: Der Sand und die Steine sind so heiss,
dass ich mir nach dem Aufstehen trotz schlammiger nasser Socken schon nach Sekundenbruchteil fast die Füsse verbrenne. Fast schon im
Laufschritt geht es flussaufwärts, und ich finde eine Stelle mit ruhigerer Strömung. Mit viel Glück und den üblichen Schmerzen schaffe
ich es tatsächlich wieder ans andere Ufer. Doch auf dem Weg zurück zum Rucksack gerate ich in ein Schlammloch und versinke fast ins
Bodenlose. Nur mit grossem Kraftaufwand kann ich mich befreien, verliere aber das Gleichgewicht und fliege wie ein k.o. geschlagener
Boxer ausgestreckt in den Schlamm. Ich muss wie ein glückliches Nilpferd aussehen. Nach Eintrocknen des Schlammes auf der Haut sehe
ich allerdings eher aus wie ein gepanzertes Nashorn.
Durquerung des Rio San Pedro
Unbeschadet und mit viel Glück schaffe ich es schliesslich in zwei Etappen, mein Inventar über den Fluss zu bringen. Um auf den Weg zu gelangen,
der in die Berge nach Carasi führt, muss ich eine Strecke von sechs Kilometern den ausgetrockneten Seitenfluss des Rio Omereque hochwandern.
Plötzlich toben Windhosen durch das ausgetrocknete Tal und saugen mit unglaublicher Kraft Staub und Kies in den Himmel. Auch ich bekomme eine Ladung
davon ab, und wegen den starken Böen werde ich regelrecht sandgestrahlt. Danach liegt das Tal in dichtem Staub, so dass sich die Sonne nur noch
schwach als brauner Ball am Himmel zeigt. Ich Quäle mich ziemlich kraftlos weiter das Tal hoch, nichts spendet entlang der steilen Uferböschung
einen Schatten.
Dies wird sich als der Beginn der schlimmsten Durststrecke meines Lebens herausstellen: Sie erst sechs Stunden später enden, kurz vor Carasi. Immer
wieder hoffe ich, Wasser zu finden und irre kreuz und quer im Tal umher. Doch alle Pfützen, die vor kurzem noch Wasser gehabt haben mögen, sind
ausgetrocknet. Obwohl ich den höchsten Sonnenschutzfaktor benutze, sehe ich mittlerweile aus wie ein sich häutendes Chamäleon.
Dann endlich erreiche ich eine Gabelung, wo sich das Tal in zwei kleinere Schluchten teilt. Hier gibt es zwar viele schattige Bäume, doch weit und
breit kein Wasser. Wie eine Mumie liege ich unter einem Baum, und versuche vergeblich etwas Speichel in den Mund zu bekommen. Danach irre ich noch
eine Weile im lockeren Wald umher, um nach dem Weg zu suchen, der laut Karte hier irgendwo in die Berge führt. Dass ich diesen schnell finde, ist
ein Zeichen, dass ich den Verstand noch nicht ganz verloren habe, obwohl sich mein Flüssigkeitsmangel durch Flimmern vor den Augen mehr und mehr
bemerkbar macht. Um nicht elend zu verdursten, entschliesse ich mich, den 700 Meter hohen Aufstieg nach Carasi erst dann anzutreten, wenn die
Sonne am Horizont verschwindet. Und so verkrieche ich mich wie eine Wüstenratte in das tiefste Schattenloch, das ich finden kann.
Wie versteinert sitze ich da. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. In Gedanken höre ich Wasser rauschen und sehe herrliche Pools mit frischem
Quellwasser, was mich fast in den Wahnsinn treibt. Dann schweifen die Gedanken nach Hause zu Dora, die hier ganz in der Nähe in Cochabamba 1983
verunfallt ist und seither querschnittgelähmt ihr Leben im Rollstuhl verbringt. Ihr Lebenswille und die Kraft, trotz Behinderung ein glückliches
Leben zu führen, motivieren mich, aufzustehen und weiterzugehen.
Der steile Weg ist gut angelegt, aber ich komme nur langsam voran, ich bin einfach zu schwach. Als ich völlig erschöpft oben auf einem Bergrücken
ankomme, bläst mir ein kühler Wind ins Gesicht, der mich wieder zu neuem Leben erweckt. Ein Gewitter entlädt sich ganz in der Nähe, und ich spüre
einige Tropfen im Gesicht, die etwas Kühlung bringen. Plötzlich höre ich einen rauschenden Gebirgsbach! Diesmal sind es keine Phantasien, wie ich
zuerst gedacht habe, sondern haben eine reale Quelle. Die Erlösung von meinem quälenden Durst naht! Diese kommt aber sicher auch von oben, da ich
im Stillen immer um Gnade gebetet habe. Wie ein kleines Kind spiele und plansche ich mit diesem Segen Gottes und bin einfach glücklich, da zu sein.
Mein Schluckapparat ist wieder funktionstüchtig und ich fühle mich wieder als Mensch.
Die letzten Sonnenstrahlen zwängen sich zwischen den Wolken hindurch und verzaubern das sonst menschenfeindliche Tal des Rio San Pedro in eine
liebliche Landschaft. Unterhalb des Cerro Condernasa kann ich eingeklemmt zwischen Bergflanken bereits Carasi sehen.
Aufstieg vom Rio San Pedro nach Carasi
Als der Tag zu Ende gegangen ist, beleuchtet der aufgehende Vollmond den Weg. Ich bin mir jetzt endlich sicher, dass ich es schaffen werde nach Carasi
zu kommen. Dann versteckt sich der Erdtrabant hinter den Wolken, es herrscht absolute Finsternis - weiter geht's mit Stirnlampe. Meine Beine sind
schwer wie Blei, und ich schleppe mich Schritt für Schritt, langsam, dafür sicher, weiter den Berg hoch. Plötzlich stehe ich mitten in Carasi, ohne
es bemerkt zu haben, da es keine Lichter gibt. Hier gehen die Menschen zu Bett, wenn das Licht verschwindet und stehen auf, wenn es hell wird.
Eine alte Frau, die vor dem Haus auf einer Bank sitzt, hat mich kommen sehen, und will gerade wieder ins Haus verschwinden, als ich "Buenos Noches!" rufe.
Ich sei auf der Durchreise und suche eine Bleibe für die Nacht, rufe ich ihr zu, so laut, dass mich wohl das ganze Dorf hören kann, denn plötzlich
versammeln sich einige Bewohner auf der Gasse. Aus Angst bleiben sie jedoch wie Bleisoldaten vor ihren Häusern stehen, obwohl ich mein Anliegen
mehrmals wiederhole. Ob es eine Schule gebe, frage ich. Dann endlich meldet sich ein Mann von ganz weit hinten und kommt auf mich zu. Es ist einer
der Lehrer. Er ist sehr freundlich und stimmt sofort zu, dass ich auf dem Schulareal übernachte. Wir gehen zum Schulhaus, wo auch eine kleine
Kirche neben einem Platz steht, wo Fussball gespielt werden kann. Dass mir alle Leute folgen, ist wenig überraschend, denn so einen Fall hat es
hier im Dorf noch nie gegeben. Die Leute werden plötzlich sehr gesprächig und stellen die üblichen Fragen, woher ich komme, wohin ich gehe, und
was ich hier mache. Dabei kennen sie meinen Ausgangspunkt Ravelo gar nicht, ja sogar die dort nahegelegene politische Hauptstadt Sucre ist für
viele ein Fremdwort. Der Lehrer erzählt, dass sie hier fünf Lehrer seien und ungefähr 180 Schüler. Ob das Dorf so gross sei, frage ich den Lehrer.
Nein, sagt er, nur etwa 80 Einwohner/-innen, davon 25 Kinder, der Rest käme aus der Umgebung. Einige Kinder hätten einen Schulweg von jeweils
drei Stunden.
Die Leute staunen über den schnellen Aufbau meines Zeltes und den kleinen Benzinkocher, der in wenigen Minuten Wasser zum Kochen bringt. Dass
damit aber auch noch in fünf Minuten eine fertige Mahlzeit hergerichtet ist, grenzt für sie schon fast an Hexerei. Es ist bereits elf Uhr nachts
vorbei, als ich endlich meine stinkenden Füsse von mir strecke. Und komischerweise verschwinden genau dann auch die Menschen.
Die Ortschaft Carasi, Camp 10. Tag
Mittwoch, 12. November, Carasi
Dir Sterne leuchten noch hell am Himmel, als mich laute Frauenstimmen aus dem Schlaf reissen. Als ich meine Glieder in Bewegung setzen will,
denke ich zuerst, ich läge auf der Intensivstation mit gebrochenen Knochen, so schlimm ist mein Muskelkater. Dann krieche ich ins Freie und
begrüsse die jungen Frauen, die gerade dabei sind, unter einem riesigen Kochtopf Feuer zu machen. Es wird ein strahlend schöner Tag, und die
Vögel zwitschern auf den Jacaranda-Bäumen. Die Frauen singen traditionelle Lieder und füllen den hundert Liter fassenden Kessel mit Wasser.
Sie machen Tee für die Schulkinder, die hier zwischen acht und neun Uhr eintreffen werden.
Nachdem mein Rucksack reisefertig gepackt ist, trinke ich noch Tee mit den Lehrern. Der Rektor sagt, dass er morgen nach Torotoro gehe, um
Schulmaterial zu holen. Da ich denselben Weg habe, frage ich, wie lange man brauche, um dorthin zu gelangen. Einen Tag hin und zurück, ohne
lange zu rasten, sagt er, was ich fast nicht glauben kann, denn die Distanz beträgt immerhin gut 25 Kilometer pro Weg.
Ich bedanke mich für die Gastfreundschaft und wandere durch paradiesisch schöne Obstgärten. Hier auf 2´700 Metern wachsen Zitrusfrüchte, Feigen,
Mandeln und Aprikosen. Ein herrlicher Blütenduft liegt in der Luft, die Kolibris schwirren eilig im Geäst umher und suchen nach Nektar. Schon
bald gelange ich in sehr steiles und felsiges Gelände, wo der Weg im Zickzack auf den 400 Meter höher gelegenen Cerro Condornasa führt.
Zwischen schroffen Felsen auf 2900 Meter mache ich wieder eine schöne Entdeckung einer Sulcorebutia. Wie sich später herausstellen wird,
gehört sie in den Formenkreis der Sulcorebutia torotorensis, die HJ 809. Die ca. 3 bis 6cm dicken frischgrünen Pflanzen sind in wulstige,
ovale Höcker aufgelöst, wobei die spiralförmigen Rippen kaum erkennbar sind. Die 3 bis 10mm langen, kräftig nadeligen, grauen, braunen bis
gelben Dornen strahlen gleichmässig zur Seite oder leicht abstehend nach oben. Auch die 1 bis 3 Mitteldornen sind gleich stark und haben
in etwa die gleiche Länge. Obwohl ich das steile und oft mit Gras bewachsene Gelände weiträumig absuche, finde ich nur wenige Pflanzen.
HJ 809 Sulcorebutia trorotorensis fa.
Cerro Condornasa, 2´800 - 2´900m, 2km oberhalb Carasi, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 809 Sulcorebutia trorotorensis fa. Klon 1, 5, 13, 18, 19 und 30
Cerro Condornasa, 2´800 -2´900m oberhalb Carasi, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Oben auf dem Gipfel angelangt, habe ich eine wunderschöne Sicht auf Carasi und das weite Tal des Rio San Pedro. Sogar meine Route der letzten
vier Tage kann ich überschauen.
Blick ins Tal des Rio San Pedro
Als ich mich an dieser Abbruchkannte mit dem schönen Blick hin und her bewege, um tolle Fotos zu machen, bemerke ich, dass ich auf einer
Population von Sulcorebutien herumtrample. Was für ein schöner Fund! Später, nach langen Beobachtungen der heranwachsenden Sämlinge in Kultur
wird sich herausstellen, dass diese in den Formenkreis der Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea gehören. Da diese Pflanzen vor allem in der
Region von Torotora verbreitet sind und es dorthin eine fahrbare Strasse gibt, ist diese seit vielen Jahren bekannt. Doch immerhin kann ich mit
diesem Fund möglicherweise das Verbreitungsgebiet dieser schönen Pflanze etwas erweitern.
HJ 810 Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea fa.
Cerro Condornasa, 3´300m, 4km oberhalb Carasi, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 810 Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea fa., Klon 1 und 2
Cerro Condornasa, 3´300m, 4km oberhalb Carasi, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Der Weg führt weiter auf eine weite Ebene, die mancherorts mit frischem Grasbewuchs bedeckt ist. Nicht zu übersehen sind die bis zu 15cm dicken Kakteen,
die vereinzelt in der Landschaft stehen: Es handelt sich dabei um die Sulcorebutia torotorensis var. torotorensis HJ 811. Im Gegensatz zu der S. HJ 809 ist
der Körper grösser und die Blüten erscheinen immer im Scheitelbereich. Sie ist in der Region von Torotoro weit verbreitet.
HJ 811 Sulcorebutia torotorensis var. torotorensis
Cerro Condornasa, 3´300m, 4km oberhalb Carasi, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Camp 11. Tag Cerro Condornasa
Da es in der Nähe frisches Wasser gibt und es ideal ist zum Campen, entscheide ich mich zu bleiben, obwohl die Sonne noch hoch am Himmel steht.
Da mich die schöne, aber auch brutale Natur in den letzten Tagen arg strapaziert hat und ich ausserdem noch vom unsauberen Wasser Durchfall habe,
muss ich unbedingt wieder zu Kräften kommen. So verbringe ich den Rest des Tages unter Polylepis-Bäumen mit dem Schreiben meines Tagebuchs.
Donnerstag, 13. November, am Cerro Condornasa
Mein Durchfall von gestern Abend, den ich als unbedeutend und harmlos eingestuft habe, hat sich schon früh in der Nacht zu einem verheerenden
Tornado entwickelt. Geschlafen habe ich nur wenig, bin mehrheitlich draussen in der Hocke gesessen, habe mir den Hintern abgefroren und die
Sterne gezählt.
Der Horizont färbt sich nun pastellfarben, als unerwartet ein "Buenos Dias" die Stille des Morgens durchbricht. Es ist der Schuldirektor
von Carasi, der mit grossen Schritten an mir vorbeigeht, um die Morgenfrische zu nutzen. Mein Frühstück fällt aus, mein Magen akzeptiert nur
Vitamintabletten und Medikamente für Magen-Darm-Infektionen. Ohne Energie und leerem Magen schleppe ich mich weiter.
Dies scheint eine wichtige Verbindung zu sein nach Torotoro, denn ich begegne immer wieder Menschen mit vollbepackten Eseln. Eine Indiofrau
kommt weinend zu mir und sagt, sie habe starke Kopf- und Bauchschmerzen. Natürlich will ich ihr helfen und hole meine Medikamentenschachtel
aus dem Rucksack, um ihr ein Aspirin zu geben. Sie will jedoch die ganze Schachtel, was ich natürlich ablehnen muss, da ich selber nur eine
habe. Als die Frau wieder anfängt zu weinen, bekomme ich Mitleid und gebe ihr vier weitere Tabletten. Danach verhält sie sich wieder völlig
normal, als ob sie gar keine Schmerzen mehr hätte. Sie bedankt sich und läuft eiligst zur Familie, die am Horizont verschwunden ist. Ich glaube,
sie hat mich über den Tisch gezogen. Ich vermute, sie will die Medikamente für den Notfall aufbewahren. Irgendwie kann ich das auch verstehen,
da es hier auf dem Lande keine oder wenigstens eine sehr mangelhafte medizinische Versorgung gibt.
Das Gelände geht auf und ab und nach einem weiteren zermürbenden Aufstieg bin ich am Ende meiner Kräfte. Hier auf diesem Hügel gibt es einen
kleinen Friedhof, der einzige flache Ort weit und breit, um ein Zelt aufzubauen. Mein Zustand erlaubt es zu sagen, dass dies genau der richtige
Ort ist, um die Nacht zu verbringen; ich hoffe aber, nicht für immer bleiben zu müssen. Zwischen Holzkreuzen ohne Namen baue ich das Zelt
auf, koche eine leichte Mahlzeit und schreibe Tagebuch. Es ist Nacht geworden, der Mond steht hell am Himmel, als es in meinem Magen wieder
anfängt zu rumpeln und ich fluchtartig das Zelt verlasse. Als ich zwischen den Gräbern umherirre, kommt gerade eine Gruppe Indios mit
vollbepackten Eseln des Weges. Meine erbärmliche Figur zwischen den Grabkreuzen lässt die Indios zu Tode erschrecken. Aus Angst, es sei
jemand von den Toten auferstanden, schreien sie laut in die Nacht hinaus, so dass auch die Esel erschrocken den Berg hinunter galoppieren.
Nachdem sich die Frauen bekreuzigt und Gott um Gnade gebeten haben, eilen die Männer stracks hinter den Tieren her. Alle wollen diesen Ort
des Grauens so schnell wie möglich verlassen, und so kehrt bald wieder Ruhe und Frieden ein.
Freitag, 14. November, südöstlich von Torotoro
Mein Hunger macht sich endlich wieder bemerkbar, und ich geniesse das Frühstück an der Morgensonne. Ich fühle mich wesentlich
besser und erwandere Höhenzüge mit herrlichen Ausblicken in alle Richtungen. Später führt der Pfad in eine enge Schlucht mit
knorrigen Polylepis-Bäumen, an deren Ästen lange Tillandsia-usneoides-Bärte hängen.
Tillandsia usneoides
Ein kleiner Bach fliesst über ausgewaschene Felsen und bildet immer wieder schöne Pools. Die Mittagssonne lockt in diese kühlen Badewannen.
Auch nutze ich die Gelegenheit, um Kleider zu Waschen, um in Torotoro nicht unangenehm aufzufallen. Ich hänge die Wäsche zum Trocknen
an den Rucksack und erreiche schon bald den Rio Rodeo. Die Berge talabwärts sehen aus wie aneinandergereihte Schildkrötenpanzer mit
regenbogenförmigen rotbraunen Gesteinsschichten. Ein Zeichen, dass ich im Toro Toro Nationalpark angelangt bin, der vor wenigen
Jahren gegründet wurde.
Torotoro Nationalpark, südlich Torotoro
Am späten Nachmittag erreiche ich Torotoro, das oberhalb des Rio Caine auf einer Ebene auf 2´700 Metern liegt. Im Zentrum gibt es einen
kleinen Park und eine aus Natursteinen erbaute Kirche. Die umliegenden Häuser sind kleine Läden, wo man das allernötigste kaufen kann.
Ein Telefon gebe es nicht, dafür aber ein Funkgerät, sagen mir die Leute. Um ein Lebenszeichen in die Schweiz zu senden, kann ich so mit
Walter in La Paz sprechen, damit Dora endlich wieder ein Lebenszeichen von mir erhält.
Torotoro
Nachdem ich mich in der einzigen Pension im Dorf einquartiert habe, sehne ich mich sehr nach einem kühlen Bier. Als sich während des Nachtessens
noch eine Schweizerin, ein Israeli und ein englisches Paar zu mir setzen, gibt es einen feucht-fröhlichen Abend. Virginie und Gregory aus England
sind mit einem Privatflugzeug aus Cochabamba angereist und die andern beiden mit dem einmal in der Woche fahrenden Lastwagen.
Ich erzähle ungewöhnliche Geschichten aus Bolivien und gebe Tipps für die Weiterreise. Virginie und Gregory wollen morgen mit Reiseführer
die Tropfsteinhöhle Humajalanta im Süden des Torotoro-Nationalparks besuchen. Da ich morgen sowieso in diese Richtung gehe, möchte ich mich
ihnen anschliessen.
In meinem Zimmer steht ein mit Metallfedern bespanntes Bett aus der Zeit unserer Urgroßmütter. Nach kurzer Liegeprobe gebe ich dem Fussboden den Vorzug.
Samstag, 15. November, Torotoro
Es ist sehr früh am Morgen, als ich im Innenhof stehe und mich auf eine Dusche freue. Doch gibt es weder Wasser noch
einen Duschvorhang. Die Señora trägt gerade Kaffee durch den Hof und ist überrascht, einen halbnackten Gringo zu sehen.
Im Restaurant, wo es lediglich zwei Tische und keine Fenster gibt, sitzt Don Carlos, der Guide, und trinkt Kaffee. Ich bin überrascht zu sehen,
dass er drei Helme mitgebracht hat und zwei uralte Karbidlampen. Nachdem sich Virginie und Gregory zu uns gesellt haben, frühstücken wir gemütlich.
Die Señora kocht Bratkartoffeln mit Spiegeleiern, genau, was wir uns wünschen. Don Carlos erzählt uns, dass der Torotoro Nationalpark der kleinste
ist in Bolivien, aber einer der schönsten. Damit meint er vor allem die faszinierenden geologischen Besonderheiten. Dazu gehören die Humajalanta
Tropfsteinhöhlen und die über 2´500 Spuren von zwei- und vierbeinigen Dinosauriern. Die Sonne steht schon ziemlich hoch, als wir aus dem Dorf und
über farbige hügelige Landschaften wandern.
Torotoro National Park
Wir durchqueren immer wieder tief eingeschliffene Bachläufe mit bunten Wänden. Die oberen Kanten dieser kleinen Schluchten, die aus soliden
Sandsteinplatten bestehen, wurden während vielen Jahren durch Regen, Hitze und Kälte gespalten. Was zurückgeblieben ist, sind gleichmässig geformte,
mosaikartig aneinander gereihte Sandsteinblöcke.
Gesteinsformationen, Torotoro National Park
Dann zeigt uns Don Carlos auf den Steinplatten Fussabdrücke von Dinosauriern, die ungefähr 25cm lang sind und 150cm weit auseinander liegen.
Ihre Urheber sind kleine fleischfressende, dreizehige Eoraptoren, die vor rund 250 Millionen Jahren im Eiltempo über die dahinschmelzende
Gesteinsoberfläche gerannt sind.
Eoraptor-Spuren, Torotoro National Park
Die roten und braunen bis grünen Felsen, auf denen vereinzelt satt grüne Akazien stehen, geben dieser schönen Urlandschaft einen besonders
farbenfrohen Anstrich. Die Virginie und Gregory haben Mühe mit dem intensiven Sonnenschein und eilen immer wieder an den nächst gelegenen Schattenplatz.
Im Torotoro National Park
Nach drei Stunden erreichen wir den steilen Abgang in die Schlucht, umgeben von senkrechten Felswänden. Weiter unten sehe ich, dass
das Ende der Schlucht in einem Berg verschwindet, und sich in eine dunkle Höhle verwandelt. Vor dem Höhleneingang staut sich das wenige
Wasser zu schönen Pools, ideal, um unsere heissen Körper zu kühlen.
Nachdem wir eine Kleinigkeit gegessen haben, verstecken wir unser Gepäck und steigen in die von Felsbrocken belegte, immer dunkler werdende
Höhle hinab. Wir erreichen ein Eisengittertor mit Vorhängeschloss, das Don Carlos zunächst nicht öffnen kann, weil er den Schlüssel bei der
letzten Führung verloren hat. Er hat ein stumpfes Eisensägeblatt mitgenommen, und es dauerte eine Ewigkeit, bis das Schloss geknackt ist.
Eingang zur Tropfsteinhöhle Humajalanta, Torotoro National Park
Nachdem wir die Helme und Lampen montiert haben, geht es durch einen schmalen Gang, der am Ende gerade einmal so hoch ist, dass sich schlanke Leute
hindurchzwängen können. Wie ein Seehund auf dem Bauch wippend geht es dann in ein noch kleineres Loch, das nicht mehr Enden will. Dabei ist Virginie
auch noch die Karbidlampe ausgegangen, und ich gebe ihr meine Stirnlampe. Sie verhält sich absolut ruhig in diesem dunklen engen Loch.
Der nächste Raum ist fast so gross wie eine Turnhalle, und Stalaktiten hängen bis auf Kopfhöhe runter, doch leider sind schon einige abgebrochen.
Nun tasten wir uns an einem Felsband entlang. Wegen der Dunkelheit können wir nicht hinuntersehen. Don Carlos hat uns erst nachher mitgeteilt, dass es
hier gut zehn Meter in die Tiefe geht. Das war auch gut so. Der steile Abstieg hinunter über die Felsen kann nur noch mit Seil bewältigt werden. Die
Wände dieser grossen Räume sind vom Wasser blankgeschliffen.
Tropfsteinhöhle Humajalanta, Torotoro Nationalpark
Schon bald hören wir rauschendes Wasser und gehen an riesigen Steinmühlen vorbei, in deren Mitte tonnenschwere, kugelrunde Steine liegen. Endlich
können wir die Karbidlampen wieder mit Wasser füllen und die Naturwunder beleuchten. Aber eigentlich ist auch dieses Licht zu schwach, um diese grossen
Hallen zu bewundern, wo Tausende von Fledermäusen zu Hause sind. Schon bald dringt Licht von aussen in die Höhle und wir können uns den Weg selber
über die grossen Felsbrocken zum Höhlenausgang suchen. Don Carlos sagt uns, dass die Höhle etwa vierzig Kilometer lang und noch weitgehend unerforscht
sei. Auf jeden Fall ist es ein unvergessliches Erlebnis, und ich habe gestaunt, wie gut sich Virginie und Gregory in dieser nicht alltäglichen Umgebung
zurechtgefunden haben.
Beim Verlassen der Höhlen sehen wir aus wie die Kaminfeger und freuen uns auf ein Bad in den glasklaren Pools. Auf halber Strecke zurück nach Torotoro
trennen sich unsere Wege. Ich werde die Nacht hier auf der Ebene verbringen. Ein Gewitter veranlasst mich dann, früh in den Schlafsack zu kriechen.
Sonntag, 16. November, Torotoro National Park
Bereits früh morgens sind die Berge mit dicken schwarzen Wolken verhangen. Kurz nach meinen ersten Schritten im weglosen Gelände fängt es heftig an
zu regnen. Wie Kunstwerke eines Bildhauers liegen ausgewaschene Felsen in der sattgrünen, mit Sträuchern und Gräsern bedeckten Landschaft.
Skurrile Gesteinsformationen
In den natürlichen mit Moos bewachsenen Löchern im Gestein wachsen Austrocylinderopuntia vestita und HJ 811 Sulcorebutia torotorensis var. torotorensis.
Austrocylinderopuntia vestita
HJ 811 Sulcorebutia torotorensis var. torotorensis
Torotoro National Park, 2´800m Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Kulturpflanz: HJ 811 Sulcorebutia torotorensis var. torotorensis, Klon 1 (2x)
Torotoro National Park, 2´800m Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Das Gelände ist schwierig und im Regenponcho fühlt es sich an wie in der Sauna. Immer mehr Blitze zischen aus den schweren Wolken, und reissende
Gebirgsbäche schiessen aus dem Nichts die Steilhänge hinunter. Dann endlich erreiche ich auf 3´100 Meter eine Indiosiedlung mit Häusern, die samt
und sonders aus Lehm und Stroh gebaut sind.
Geschützt unter dem Vordach eines Hauses sitzt ein junger Mann und spielt Charango. Obwohl ich direkt vor ihm stehe, singt er frisch-fröhlich weiter,
und ich setze mich neben ihn. Ich glaube, der Regen stimmt ihn zufrieden, denn nun können seine gepflanzten Kartoffeln endlich wachsen. Seine Frau bringt
Tee aus dem Haus. Als der Mann aufgehört hat zu spielen, bittet er mich hereinzukommen, um mich aufzuwärmen. Sein Haus ist nicht grösser als ein kleiner
Hühnerstall und ohne Fenster. Auch Stühle und ein Tisch gibt es nicht. In der Ecke auf Stroh liegen ausgebreitet einige von Hand gewobene Decken zum
Schlafen. In der anderen Ecke kniet die Frau am Boden vor dem offenen Feuer und rührt im Kochtopf. Einen Rauchabzug gibt es nicht, und schon bald
tränen mir die Augen. Der Mann scheint beleidigt zu sein, als ich ihm sage, ich möchte wegen dem starken Rauch gerne wieder nach draussen.
Ich glaube, er ist stolz, einen Gringo als Gast zu haben. So bleibe ich in unbequemer Stellung am Boden sitzen und riskiere eine Rauchvergiftung.
Schon bald streckt mir die Frau einen Teller Suppe hin, dabei habe ich gar keinen Hunger. Der Inhalt besteht nur aus einer würzigen Brühe und
ausgekochten Knochen, eigentlich gerade gut genug für den Hund, denke ich, und schon steht jener da, abgemagert und die Augen voller Hoffnung.
Ich sollte mich schämen mit solchen Gedanken zu spielen, denn diese armen Leute, die wirklich gar nichts besitzen und dankbar sind, wenn sie jeden
Tag zu Essen haben, geben mir Suppe. Dies beeindruckt mich tief. Und dann schnappt der Hund zu und weg ist der Knochen, was für eine Erleichterung.
Ich hoffe, die Frau hat die Suppe auch lange genug gekocht, denn einen Durchfall kann ich mir jetzt keinen mehr leisten.
Zum Dank für die Gastfreundschaft gebe ich den Kindern, die gerade von Torotoro aus der Schule gekommen sind, Nüsse, Kaugummi und etwas Schokolade.
Diese Köstlichkeiten, die sie vorher nicht gekannt haben, sind für sie wie Weihnachten.
Indiosiedlung am Cerro Wila Khasa
Schon bald gelange ich auf den breit angelegten Weg, der von Torotora nach Taconi Yambata führt. Auf dem Cerro Wila Khasa kommt man sich wie eine Ameise in
einem gigantischen Steingarten vor. Riesige Felsblöcke liegen locker in der Landschaft.
Auf dem Weg zum Cerro Wila Khasa
Danach geht es über kompakte, ausgewaschene, flache Felsplatten. Der Weg ist kaum zu erkennen, und ich komme mir vor wie Sherlock Holmes
beim Spuren suchen. Ganz oben angelangt auf 3´500 Metern gibt es eine schöne Überraschung: Gut geschützt vor Erosionen wachsen zwischen
aufgebrochenen grossen Steinplatten mit Moos und Flechten wieder Sulcorebutiae verticillacantha var. cuprea fa. Die teilweise nur knapp 2cm
grossen Pfanzen sind im Moos kaum sichtbar. Sie unterscheiden sich von der Sulcorebutia verticillacantha var. verticillacantha dadurch, dass
sie etwas grösser sind. Die Randdornen können länger und nach oben gerichtet sein. Die Farbe der Epidermis ist oft rötlichbraun bis kupferfarbig.
HJ 812 Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea fa.
Cerro Wila Khasa, 3´500m, 6km südwestlich Torotoro, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 812 Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea fa. Klon 3, 4, 8, 9 und 99
Cerro Wila Khasa, 3´500m, 6km südwestlich Torotoro, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Der starke Wind hat die letzten Nebelschwaden weggeblasen, die Luft ist klar und die Horizonte erscheinen unendlich. Die Abendsonne spielt mit den
Farben; Licht und Schatten bilden scharfe Kontrast an den Berghängen und die Schluchten tauchen in tiefe Nacht. An diesem schönen Ort will ich
bleiben, auch wenn der Platz für das Zelt ziemlich klein und steinig ist.
Blick vom Cerro Wila Khasa nach Osten
Montag, 17. November, Cerro Wila Khasa
In der Nacht hat es angefangen zu regnen, und die Luft hat sich bis auf wenige Grad über Null abgekühlt. Ich habe deshalb
auch sehr gut und lange geschlafen. Da keine Besserung des Wetters zu erwarten ist, packe ich das nasse Zelt zusammen, was ich
ungern tue, weil es mehr zum Tragen gibt.
Ich stecke mitten in den Regenwolken, die Sicht ist schlecht und der Weg durch das Felslabyrinth geisterhaft. Unter einem grossen
trockenen Felsvorsprung nutze ich die Gelegenheit, gemütlich zu frühstücken. Eine warme Suppe ist jetzt genau das Richtige bei diesem
Sauwetter. Die Kälte durchbohrt meinen ganzen Körper und ich brauche all meine Kleider, um nicht zu frieren. Vor mir breitet sich ein
riesiger Teppich von aneinandergereihten Rosetten-Pflanzen aus, der aussieht wie ein frischgemähter Golfplatz. Die 1 bis 1.5cm grossen
Blattrosetten, genannt Plantago rigida, stehen dicht beisammen. Die Polster wachsen an ihrer Oberfläche ständig fort, beginnen aber mit
der Zeit von der Basis her zu vertorfen. Dieser Torf wird von den Einheimischen abgetragen, getrocknet und als Brennmaterial verwendet.
Man schält die wachsende, grüne Decke vorsichtig ab, trocknet diese und deckt damit die Dächer der Steinhütten. Plantago rigida ist eine
Pflanzenart aus der Gattung Plantago und gehört zu der Familie der Plantaginaceae. Man findet sie in sehr hohen Lagen in feuchten Mulden,
wo das Wasser für längere Zeit liegen bleibt.
Beim Frühstück, Camp 15. Tag, Cerro Wila Khasa
Plantago rigida, Gattung Plantago, Familie der Plantaginaceae
Cerro Wila Khasa, 3´700m, südwestlich Torotoro, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Wie ein Geist im Regenponcho wandle ich weiter im dichten Nebel zwischen verwitterten Felsen den Berg hoch. Dazwischen kleine
Ausblicke in dunkle, steile Schluchten mit knorrigen Polylepis-Bäumen. Dann klart der Himmel plötzlich auf, Hundegebell durchbricht die
Stille, und eine Herde zottiger Schafe mit Beinen wie Stelzen irrt um mich herum und suchen gierig nach frischem Gras.
Schafherde auf Cerro Wila Khasa
Auf einer Bergkuppe, in feuchtem Moos, eingeklemmt zwischen Steinen, entdecke ich erneut eine Population von Sulcorebutia verticillacantha
var. cuprea fa., die HJ 812a. Sie zeigt keine wesentlichen Unterschiede zu der letztgefundenen. Allerdings gibt es Pflanzen, die im
Wuchs etwas grösser sind und die Dornen sind länger und kräftiger.
HJ 812a. Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea fa.
Cerro Ararian, 3´600m, 10km westlich von Torotoro, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Kulturpflanze: HJ 812a Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea fa., Klon 1, 4 und 20
Cerro Ararian, 3´600m, 10km westlich von Torotoro, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Ich kann jetzt in die tiefen Täler blicken, und der über viertausend Meter hohe Cerro Chulipa Punta zeigt seine wahre Grösse.
Im Norden, wo sich zwei Bergrücken begegnen, liegt hufeisenförmig angelegt das Dorf Taconi Yambata. Da ich die Nacht ungestört
verbringen will, suche ich bereits hier oben nach einem Platz, was sich als sehr schwierig erweist. Erst nach längerem Herumirren
finde ich am Rand eines Kartoffelackers einen mittelträchtigen Platz. Auf dem Kartoffelfeld sieht es aus, als hätte es Steine geregnet.
Ich brauche dringend Wasser und steige in eine ausgetrocknete Bachrunse hinab und folge ihr so lange, bis sie in eine enge kleine
Schlucht mündet. Der Einstieg besteht aus losen, aufeinander geschichteten Steinen, und mir wird bewusst, wie gefährlich das Ganze
ist. Kein Mensch würde mich in diesem Loch suchen, sollte ich abstürzen. Aber solche Gedanken lässt man am besten bei Seite. In einer
ausgewaschenen Vertiefung im Felsen finde ich erstmals etwas abgestandenes Wasser zum Gurgeln. Es kommen immer mehr solche Wasser
Schüsseln zum Vorschein, und plötzlich beginnt es zu fliessen, und ich freue mich wie ein kleines Kind, das im Planschbecken sitzt.
Um hier eine Suppe zu kochen, irrt man zuerst in halsbrecherischen Schluchten umher. Zu Hause öffnet man einfach den Wasserhahn.
Region Taconi Yambata
Dienstag,18. November, Region Taconi Yambata
Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen in den feuchten Gräsern und Büschen verbreiten einen würzigen, angenehmen Duft. Was für ein schöner Tag!
Klar zeichnen sich durch die reine Luft die Hügel in ihren Gelb-, Braun- und Rottönen am Horizont ab.
Die Auswahl der Lebensmittel, auch für das Frühstück, ist kleiner geworden. Ich geniesse das Birchermüsli, auch wenn das wenige
Milchpulver nur noch als Farbstoff dient. Käse und getrocknetes Fleisch sind längst aufgebraucht, und das wenige Brot von Torotora
ist im Rucksack gemahlen worden und kann nur zusammen mit einer Suppe gelöffelt werden, aber der Löffel ist seit längerem in zwei
Teile zerbrochen. Von den Fertigmahlzeiten, die ich mit Vorliebe als Hühnerfutter bezeichne, könnte ich noch gut zwei Wochen leben.
Doch das Zeug schmeckt je länger je scheusslicher und nur der Zwang, die für mich so wichtigen Kalorien irgendwie in den Magen zu
bekommen, zwingt mich immer wieder, eine Portion davon in mich reinzustopfen.
Auf dem Weg nach Taconi Yambata begegne ich Bauern, die ihre Ochsen auf die Felder hoch in den Bergen treiben. Die schweren,
langen Holzpflüge tragen sie wie das Kreuz Jesu auf der Schulter. Die Ochsen wissen nicht, dass sie zur Arbeit müssen und suchen
immer wieder nach saftigen Gräsern, was die Bauern mit ihren unbequemen Pflügen im unwegsamen Gelände zur Verzweiflung bringt.
Und dann sehe ich plötzlich von weitem zwischen Gras und Steinen langstielige, grosse, weissblütige und stark duftende Echinopsen.
Die ungefähr 10cm dicken Pflanzen mit 1 bis 3cm langen, nach aussen gebogenen Dornen sind Nachtblüher und gehören in den
Formenkreis der Echinopsis huotii HJ 814.
HJ 814 Echinopsis huotii
Region Taconi Yambata, 3´100m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Das aus Lehmziegeln gebaute Dorf Taconi Yambata ist wie ein Teil der Natur. Sein Bild verschmilzt mit den herumliegenden Felsen.
In der Dorfmitte gibt es einstöckige Häuser mit kleinen, schiefhängenden Holzbalkonen. Um die Innenräume optimal zu nutzen, wurden im
Aussenbereich schmale Treppen in den ersten Stock gebaut, ohne Geländer, was beim Besteigen wohl viel Akrobatik voraussetzt. Die Innenhöfe
werden für die Tierhaltung genutzt und das Trocknen von Fleisch, Früchten und Gewürzen. Gelegentlich sieht man Frauen hinter den Webstühlen
am Boden sitzen. Viele Tiere wie Schafe, Ziegen und Kühe sind unterwegs zu ihren Weideplätzen, und auf dem Dorfplatz wühlen die Schweine
in den Pfützen des gestrigen Regens. Der frühe Morgen ist auch die aktivste Zeit für die Menschen und es herrscht reges Treiben im Dorf.
Meine Erscheinung jedoch bringt das Dorfleben etwas durcheinander und die Arbeit wird für kurze Zeit niedergelegt. Schüchtern und sogar
etwas ängstlich stehen die Menschen da und beobachten mich genau. Ich komme mir vor, wie ein Stier in der Arena. Erst als ich in den kleinen
Laden gehe und längere Zeit mit der etwa zehn Jahre alten Verkäuferin plaudere, kommen alle hereinspaziert, und ich werde ausgefragt, wie auf
einem Polizeiposten. Es sind immer die gleichen Fragen, doch ich antworte gerne, denn es bringt für die Menschen Abwechslung, und sie lernen
Neues von meiner Kultur. Wichtig für die Menschen ist auch zu wissen, was ich hier treibe, und viele können nicht verstehen, dass man
wochenlang durch ihr Land wandern kann wegen diesen kleinen stacheligen Pflanzen, die hier fast unbeachtet bleiben. Manchmal kann ich
es ja selber nicht verstehen, doch es gibt auch andere Dinge, die mich immer wieder faszinieren. Das Abenteuer, die Schönheit unberührter
Natur, zu lernen, mit den Gesetzten der Natur zu leben und die Grenzen psychischer oder physischer Art zu spüren und zu akzeptieren. Und
vor allem findet man wieder viel Zeit für sich selbst, so dass man in Ruhe über Vieles nachdenken kann. Nicht nur über sich selber, sondern
auch über Lebensgewohnheiten anderer Kulturen. Und erfahren, dass Materialismus nicht das einzige Rezept ist für ein glückliches Leben;
das tut gut.
Das Einzige, das ich von den beinahe leeren Regalen kaufe, ist eine Rolle Toilettenpapier, damit das unangenehme Putzen mit Steinen und
Gras endlich ein Ende nimmt. Die Leute sagen, es gebe eine Strasse nach Acasio, sie sei jedoch seit vielen Monaten unterbrochen und die
Güter würden mit Mauleseln transportiert.
Comunidad Taconi Yambata
Auf dieser ausgewaschen Strasse bewege ich mich ein Stück weit nach Nordwesten, bis zur Wasserscheide, von wo aus man einen herrlichen
Blick ins weite Tal des Rio Caine hat. Dort finde ich im lockeren Gras wieder eine Population von Sulcorebutien, umgeben von weiss blühenden
Zwiebelgewächsen (Stenomesson spec.). Die 1.5 bis 3cm dicken braun-grünen bis violett-grünen Körper bilden kleine Haufen. Zuerst denke ich,
es seien dieselben Pflanzen wie die letztgefunden Sulcorebutien. Doch wie spätere Untersuchungen zeigen werden, handelt es sich um die seit
längerem bekannte Sulcorebutia steinbachii var. taratensis, deren Verbreitung in der Region von Tarata bei Cochabamba liegt. Möglicherweise
zählt dieser Standort zu den südlichsten überhaupt.
HJ 815 Sulcorebutia steinbachii var. taratensis
nordwestlich von Comunidad Taconi Yambata, 3´100m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Auf einem Gebirgskamm führt der Weg zuerst flach, danach steil hinab in die sechshundert Meter tiefer gelegene Schlucht des Rio Chambine.
Schon bald entdecke ich Gruppen von weiss blühenden Echinopsen (Trichocereen), deren Blüten wie Glocken ringförmig vom Stammende über meinem
Kopf halbwegs herunterhängen. Unter diesem Schirm von Blüten stehe ich da wie ein kleines Kind vor dem Christbaum, und kann nicht fassen, was
die Natur aus diesem kargen Boden geschaffen hat. Ich geniesse noch eine Weile den süssen Duft, das Farbenspiel der Blüten in der Sonne im
tiefblauen Himmel und gehe dann weiter in das immer heisser werdende Tal hinab.
Echinopsis spec.
nordwestlich von Comunidad Taconi Yambata, 3´000m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Blick ins Tal des Rio Chambine
Vereinzelt wächst auch die Austrocylinderopuntia vestita. Sie ist strauchig und verzweigt mit wenigen von der Basis her aufsteigenden Ästen.
Kurz vor dem Talboden zwischen niedrigen Büschen findet man auch Opuntia schickendantzii fa.. Sie wachsen strauchig, sind reich verzweigt und
erreichen Wuchshöhen von 1 bis 2 Meter.
Austrocylinderopuntia sahferi
nordwestlich von Comunidad Taconi Yambata, 3´000m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Opuntia schickendantzii fa.
nordwestlich von Comunidad Taconi Yambata, 2´800m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Ich will ja nicht wieder jammern, aber die Hitze in diesem Tal und der steile Abstieg machen mir einmal mehr zu schaffen, vor allem aber die
Schmerzen in den Kniegelenken. Es gibt Menschen, die können sich an nichts mehr erfreuen, bei mir jedoch ist ein erfrischendes Bad im Rio Rio
Chambine bereits das höchste aller Gefühle. Nach dem Waschen der Kleider steige ich topfit auf der anderen Talseite wieder den Steilhang hoch.
Am Rio Chambine
Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Akazien, finde ich ideale Bedingungen für das Nachtlager. Da genügend Holz vorhanden ist, koche ich auf
offenem Feuer. Noch lange sitze ich am Lagerfeuer, geniesse die Stille und den grandiosen Sternenhimmel.
Camp 17. Tag, Region von Acasio
Mittwoch, 19. November, Region Acasio
Der Mond hängt noch schlaff am Horizont, als ich mich auf den Weg mache, um die kühlen Morgenstunden zu nutzen. Der wenige Tee,
der am Morgen übriggeblieben ist, muss für die vierhundert Höhenmeter nach Acasio reichen. Es ist ein strahlend schöner Tag und das
saftige Grün der Akazien leuchtet im sanften Licht der Sonne.
Blick ins Tal des Rio Caine, Region Acasio
Einige Cleistokakteen stehen wie Kerzen in den Felsen, doch kann ich sie nur aus der Ferne betrachten. Ohne mich abzuquälen erreiche ich die
wenigen Lehmhäuser von Acasio an der Strasse Chochabamba - San Pedro. Ich erfrische mich am Dorfbrunnen und plaudere mit den Bewohnern. Immer
wieder bestaunen sie meinen praktischen Wassersack, den alle gerne mitnehmen würden. Hier gefällt es mir so gut, dass ich mich unter eine alte
Akazie setze und gemütlich frühstücke. Ein interessanter Ort, um das Treiben der Menschen zu beobachten, wie im Haus gegenüber, wo die Männer
gerade dabei sind, die Maulesel zu packen, was anscheinend gar nicht so einfach ist, da die Tiere immer wieder davonlaufen. Sitzt die Ladung
schief oder ist sie ungleichmäßig verteilt, dann beginnt das Ganze wieder von vorne. Die mit Mehlsäcken beladenen Tiere gehen nach Taconi Yambata.
Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die meisten Gegenstände, die man zu Gesicht bekommt, bestehen aus natürlichen Materialien.
Am meisten beeindruckt hat mich die aus Holz gebaute Schubkarre, die an die Steinzeit und die Feuersteins erinnert.
Comunidad Acasio
Die Leute sagen, ich könne die alte Strasse nehmen, um über den Rio Caine zu gelangen, sie würde später in die neue Strasse münden. Mir fehlen die
weiteren 1:50'000-Landkarten und als Ersatz habe ich eine im Massstab 1:250'000 von Cochabamba. Auf dieser ist die Topographie ungenau, und es sind
nur die wichtigsten Fusswege eingezeichnet. Dort, wo sich die alte Strasse ins weite Tal des Rio Caine hinab schlängelt, hat man einen grandiosen
Blick über das Tal. Der Fluss bildet hier die Grenze zwischen den Departamentos Potosi und Cochabamba. In der wenig bewaldeten und trockenen Landschaft
gedeihen verschiede Kakteen, wie Harrisia tetracantha und Opuntia sulphurea. Dazu noch ein knorrig geformter Strauch namens Lycianthes lycioides, der
aus der Familie der Solanaceae stammt und zu den Nachtschattengewächsen gehört.
Blick ins Tal des Rio Caine
Harrisia tetracantha
Region von Acasio, 2´800m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Opuntia sulphurea
Region von Acasio, 2´800m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Lycianthes lycioides Familie der Solanaceae, Nachtschattengewächs
Region von Acasio, 2´800m, Dep. Potosi, Provinz Charcas, Bolivien Doch schon bald kommt eine böse Überraschung: An der steilen Bergflanke ist die Strasse für mehrere hundert Meter einfach weggerutscht.
Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich die neue Strasse genommen. Es kommt aber noch viel schlimmer, denn als ich über diese Schutthalden
balanciere, stürze ich fast zu Tode. Ich rutsche auf dem losen Gesteinshaufen langsam in die Tiefe und mache erst kurz vor einem senkrechten
Abgrund halt. Mit aufgeschürften Armen und Beinen quäle ich mich unter den nächsten Akazienbusch, wo ich erledigt liegenbleibe. Und die
mörderische Mittagshitze gibt mir den Rest.
Zwei Schritte hoch und ein Schritt zurück gelange ich wieder auf die Strasse. Danach zwänge ich mich durch einen Irrgarten von Felsblöcken und,
als Abschluss dieser Foltertour, noch durch ein mit Widerhaken bestücktes Akaziengestrüpp.
Danach fühle ich mich wie durch eine Wurstmaschine gedreht und wäre jetzt froh um einen "Lift" hinunter zum Rio Caine und weiter hoch
auf die kühlen Berggipfel. Aber wie schon oft, wenn ich auf einsamen Landstrassen wandere, sind keine von diesen fahrenden Schrotthaufen
unterwegs. Die Serpentinen schlängeln sich unendlich in die Tiefe. Normalerweise findet man Abkürzungen für Leute, die mit Tieren unterwegs
sind, doch die Schutthänge zwischen den einzelnen Schlaufen sind so steil und rutschig, dass keine Wege angelegt wurden.
Ich bin schon einige Kilometer gegangen, und der Rio Caine schlängelt sich immer noch tief unten wie ein Wurm durch das Tal. Doch dann höre
ich von weiter oben Motorengeräusche und klappernde Karosserieteile. Ich gehe mitten auf der Strasse, als ein Toyota Offroader mit wackelnden
Vorderrädern viel zu schnell um die Ecke schiesst. Ich rette mich mit einem Sprung in den Graben und werde von einer Staubwolke eingedeckt.
Das Fahrzeug bremst und ein Mann steigt aus. Er fragt mich, wo es denn hingehen soll. Ist mir egal, einfach weg von hier. Der Mann öffnet die
Hecktüre und ich weiss nicht so recht, wie ich mich in den bereits schon mit Säcken überfüllten kleinen Laderaum zwängen soll. Er fragt, ob es
gehe - ja, irgendwie schon. Auf keinen Fall will ich ihm das Gefühl geben, es gäbe keinen Platz mehr. Erst als Jorge, so heisst er, die Ladung
umverteilt und einige Säcke der hübschen Tochter auf dem Beifahrersitz zwischen die Beine klemmt, kann ich auch den Rucksack platzieren.
Jorge, Geschäftsmann aus Cochabamba, ist vor dreissig Jahren aus Spanien hierher ausgewandert. Obwohl er wie der Teufel durch die Landschaft
fährt und ich im Staub fast ersticke, ist er mir sofort sympathisch. Geschüttelt wie auf einem Presslufthammer brüllen wir uns gegenseitig ins
Ohr und erzählen Geschichten. Wir passieren den Rio Caine und weiter geht's wieder in steilen Kurven den Berg hoch. Ich hätte bis Cochabamba
mitfahren können, doch ich möchte zu Fuss weiter, um die Verbreitung der Sulcorebutia steinbachii var. taratensis weiter zu verfolgen.
An der Abzweigung nach Chillcani auf 3´100 Höhemetern lässt mich Jorge aussteigen und ich bedanke mich. Auf Bergkuppen in kühler Luft suche
ich vergebens nach Sulcorebutien; wahrscheinlich bin ich nicht hoch genug. Ich steige in ein Tal hinab und erreiche schon bald das in einer
Flussgabelung zwischen Felsen eingeklemmte Dorf Chillcani. Ich bin froh und gleichzeitig überrascht, einen Wasserhahn vorzufinden. Die kleine
Kirche und der kamingrosse Glockenturm sind mit braunem Lehm verputzt, genauso wie die anderen Häuser.
Im Bachbett begleitet mich ein kleiner Bursche auf glatt poliertem Granit ein Stück ins Tal hinein. Ich müsse aufpassen, um den Weg nicht zu
verpassen, der weiter in die Berge führe, sagt der Junge und kehrt wieder um. Da es bald dunkel wird, brauche ich dringend einen Platz für die
Nacht. Im Bachbett, wo ein kleines Rinnsal fliesst, gäbe es Möglichkeiten, doch ist das viel zu gefährlich. Der Bach kann sich bei einem nächtlichen
Gewitter innert Minuten in einen reissenden Fluss verwandeln. Etwas oberhalb am Rand eines Maisfeldes gibt es einen, wenn auch unbequemen, Platz für
die Nacht. Ist egal, wichtig ist, dass es in der Nähe Wasser gibt.
Donnerstag, 20. November, Chillcani
Ich nutze die kühlen Morgenstunden, um möglichst schnell in die höheren Berge zu gelangen. Geplant habe ich, in Richtung Westen nach Izata zu gehen,
doch dazu müsste ich hier oben an der Wasserscheide wieder in eine Schlucht absteigen. Irgendwie habe ich dieses ewige Rauf und Runter satt und möchte
lieber höher steigen, um möglichst auf direktem Weg nach Tarata zu kommen. Der hohe Berg zu meiner rechten wäre die richtige Richtung und ideal für
Sulcorebutien, doch sehe ich keinen Weg.
Plötzlich höre ich weit oben am Berg Stimmen von Menschen und sehe zwei Farbtupfer, die sich in den Felsen bewegen. Es sind zwei Buben mit voll
bepackten Eseln, die bergabwärts kommen. Ich frage sie später, ob dies der Weg nach Tarata sei. - Ja, es sei der kürzeste. Bis zum Gipfel des
Cerro Condor Pununa sind es gut fünfhundert Höhenmeter, und der Aufstieg an praller Sonne ist wieder brutal.
Doch die Qualen lohnen sich, denn auf halber Höhe finde ich bereits die ersten Sulcorebutien steinbachii var. taratensis. Sie zeigen keine wesentlichen
Unterschiede zu den letztgefundenen. Die Sonne steht senkrecht, als mir oben im flachen Gipfelbereich mit schönster Panoramasicht eine angenehme kühle
Brise ins Gesicht bläst.
Überall sieht man rote und lilafarbene Farbtupfer in der kargen Landschaft, alles HJ 816 Sulcorebutia steinbachii var. taratensis. Was für eine Freude!
HJ 816 Sulcorebutia steinbachii var. taratensis
Cerro Condor Pununa, 3´300m, Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 816 Sulcorebutia steinbachii var. taratensis, Klon 6 und 8
Cerro Condor Pununa, 3´300m, Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Zwar ziemlich überraschend, aber kaum zu übersehen sind die etwas weiter nördlich am flachen Hang vorkommenden Lobivia acanthoplegma mit
ihren leuchtend roten Blüten.
HJ 817 Lobivia acanthoplegma
Cerro Condor Pununa, 3´300m Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Kulturpflanze: HJ 817 Lobivia acanthoplegma, Klon 1
Cerro Condor Pununa, 3´300m Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Ich bin völlig ausgetrocknet, als ich das kleine Dorf Molini erreiche, wo nur ein paar Lehmhäuser und eine kleine Kapelle stehen. Die
ganze Einwohnerschaft ist gerade dabei, ein Haus zu bauen. Es gibt einen Schlauch mit fliessendem Wasser, und mein Drang danach ist
gross. Die Arbeiter sehen das und spritzten mich von Kopf bis Fuss ab. Was für eine Wohltat, und auch die Männer haben ihren Spass.
Die Ortschaft Molini
Zum letzten Mal steige ich auf 3´500 Meter und entdecke wieder die gleichen Sulcos, wie die von heute Morgen. Da ich keine Unterschiede
zu den letztgefundenen erkennen kann, gebe ich ihnen das No. 816a. Die Sonne hängt genauso kraftlos über dem Horizont wie ich, als ich
mitten auf dem Weg das Zelt aufbaue.
Camp 19. Tag und Standort
HJ 816a, Sulcorebutia steinbachii var. taratensis Cerro Loma Punta, 3´200m, Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 816a Sulcorebutia steinbachii var. taratensis, Klon 2, 3, 6 und 7
Cerro Loma Punta, 3´200m, Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Und dann die Überraschung und Krönung des Tages, ein Lichtermeer am Horizont, es ist die Grossstadt Cochabamba. Juhu, ich habe es bald geschafft!
Freitag, 21. November, südlich Cochabamba
Als ich mich auf den Weg mache, leuchten am Horizont rote Cirruswolken. Die Luft ist würzig und angenehm kühl. Der Weg in eine kleine Schlucht
wurde weggespült, und ich muss meinen eigenen suchen, was mich bereits schon wieder ziemlich strapaziert. Dann endlich, nach zwanzig anstrengenden
Tagen in der Wildnis, stehe ich auf dem letzten Hügel und blicke in die weite Ebene von Cochabamba. Was für ein Moment!
Blick in die Ebene von Cochabamba mit Lago Angostura
Auf dem Weg ins Tal in Richtung Tarata finde ich kurz danach noch eine grosse Population von blühenden Lobivia acanthoplegma. Ein schönerer Anblick
und ein schöner Abschluss meiner Reise.
HJ 818 Lobivia acanthoplegma
Cerro Loma Punta, 3´000m, ca. 10km südöstlich von Tarata, Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Kulturpflanzen: HJ 818 Lobivia acanthoplegma, Klon 1 (2x), 2 und 3
Cerro Loma Punta, 3´000m ca. 10km südöstlich von Tarata, Dep. Cochabamba, Provinz Esteban Arce, Bolivien Schon bald erreiche ich das Dorf Pujyuni etwa vier Kilometer südlich von Tarata. Hier gibt es eine Strasse nach Norden, doch fahren keine
Autos, und so gehe ich bei extremer Hitze meine letzten drei Kilometer nach Huayculli. Das Dorf ist wie ausgestorben. Ich setze mich an den
Strassenrand auf die Pflastersteine im Schatten, warte auf bessere Zeiten und träume von einem kühlen Bier.
Es dauert nicht lange, da höre ich doch tatsächlich Motorengeräusche. Dann staubt es zwischen den Häusern und ein grosser Lastwagen vom Typ
Saurer hält an. Als der Mann mir sagt, er fahre bis nach Cochabamba, bin ich überglücklich. So glücklich, dass ich ihm sage, er solle irgendwo
bei einem guten Restaurant anhalten, ich würde ihn gerne zum Essen einladen. Der dreifache Familienvater hat speziellen Kies aus dem Rio Caine
geladen. Er müsse diesen möglichst schnell nach Cochabamba auf die Baustelle bringen. Aber für ein gutes Mittagessen nähme er eine Verspätung
gerne in Kauf.
Frederico, mein Fahrer, sagt, in Cochabamba werde zurzeit viel gebaut, und auch er mit seinem eigenen Lastwagen habe noch nie so viel Arbeit
gehabt wie jetzt. Schon bald parken wir an einer Raststätte, wo unter Bäumen schon gedeckte Tische mit Bänken stehen. Es sei eine typische
Fernfahrerbeiz, und das Essen sei gut und günstig, sagt Frederico. Das Menü heute ist Huhn mit Reis und Gemüse, zuvor gibt's noch eine Suppe.
Nach meinem meist monotonen Essen der letzten Wochen ist dies ein Festmahl, gekrönt durch ein kühles "Blondes".
Wir unterhalten uns. Frederico sei sehr glücklich mit seiner Familie, es gebe genug Arbeit und Geld für ein normales Leben. Doch habe er ein
halbes Leben lang geschuftet, um sich diesen Lastwagen Baujahr 1961 leisten zu können.
Schon bald erreichen wir die Grossstadt Cochabamba, wo man in den stinkenden Abgasen zu ersticken droht. Ich gebe Frederico zwanzig Bolo, das
sind ungefähr vier Franken, ein halber Tageslohn für die meisten hier.
Ich bedanke mich bei Frederico und wühle mich durch das Verkehrschaos ins Zentrum. Ich suche das Telefonamt (Entel) auf, um Dora zu sagen:
"Ich bin wieder da, ich habe es geschafft, ich liebe dich und ich komme bald nach Hause." Die Freude ist riesig, die Emotionen kaum zu bändigen,
und die Telefonrechnung teurer als das Flugticket nach La Paz.
Mein Gestank und meine erbärmliche Erscheinung sind den Leuten hinter dem Schalter auf dem Flugbüro LAB schnell aufgefallen. Sie lassen mich
deshalb für eine Weile in der Ecke sitzen. Als sich endlich eine hübsche junge Frau meiner annimmt, fragt sie mich, woher ich komme und wohin
ich fliegen möchte. Ich sage etwas verschmitzt, ich käme zu Fuss aus Sucre, würde aber jetzt gerne nach La Paz fliegen. Grosses Staunen ist zu
spüren, und ich glaube, ich bin der Held des Tages. Ich habe Glück und bekomme einen Sitz für den Achtzehn-Uhr-Flug für vierzig Dollar.
Es ist früh am Nachmittag und mein Hunger macht sich bereits wieder bemerkbar. Ich drücke mich in einem besseren Restaurant in die hinterste
Ecke, um mit meinen Ausdünstungen den Leuten den Appetit nicht zu verderben. Ich bestelle zuerst ein Filet mit Gemüse und Pommes Frites, dann
noch ein gebratenes Huhn mit Reis. Und zu jeder Mahlzeit ein kühles Bier. Der Kellner fragt, ob alle Gringos so viel ässen. Nur wenn sie sehr
grossen Hunger hätten, antworte ich.
Erstmals seit drei Wochen höre ich wieder Musik aus dem Radio, denke zurück an meine Reise und bin glücklich, erfolgreich und gesund in der
Zivilisation zurück zu sein. Ich konnte das Wissen über Vorkommen und Verbreitungsgebiete der Sulcorebutia verticillacantha var. cuprea und
der Sulcorebutia steinbachii var. taratensis in unerforschten Gebieten erweitern. Der grösste Erfolg dabei war der Fund einer neuen Art,
der Sulcorebutia dorana.
Ich nehme ein Taxi und fahre zum Flughafen, wo ich noch lange warten muss. Ein kleiner Schuhputzer, er ist nicht älter als acht Jahre, sieht
sofort, dass meine für ihn überdimensionierten Latschen dringend einen neuen Anstrich brauchen. Die Saugkraft des ausgetrockneten Leders ist
so gross, dass er fast eine ganze Dose auftragen muss. Ich honoriere diesen Einsatz auch dementsprechend, und selten habe ich so einen glücklichen
Jungen davonhüpfen sehen.
Der Flug verläuft ruhig und der Hausberg von La Paz, der Nevada Illimani, steht majestätisch im Abendlicht. Kaum haben wir die zum Greifen nahen
Gletscher passiert, lässt der Pilot die Maschine im Gleitflug auf den Altiplano absinken, und wir landen ohne durchgeschüttelt zu werden.
Nevada Illimani 6´400m
Ich fahre mit dem Taxi direkt nach Mallasa ins Hotel Oberland, wo ich mich auf eine warme Dusche freue, ein gutes Essen und viel Schlaf.
Walter, der Besitzer des Hotels, hat mich fast nicht wieder erkannt, denn mein Aussehen hat sich mittlerweile der Wildnis angepasst, und
meine Fettpölsterchen sind auch verschwunden.
Hotel Oberland
Da ich noch eine Woche Zeit habe, bis es endgültig nach Hause geht, habe ich bereits wieder Pläne, nämlich zu Fuss auf dem historischen
Inkapfad vom Cumbre Pass bei La Paz auf 4´800 Meter nach Coroico zu wandern. Dieser einst so bedeutende Weg führt vom ewigen Eis bis hinunter
in den Bergurwald des Amazonasbeckens.
Samstag, 22. November Hotel Oberland, Mallasa
Mein Schlaf ist wie nach einer Narkose. Beim Erwachen denke ich, ich sei immer noch im Zelt und falle prompt aus dem Bett. Das ist auch gut
so, denn sonst würde ich den ganzen Morgen verschlafen. Das reichhaltige Frühstück mit frischen Brötchen und Früchten, von dem ich während
Wochen nur träumen konnte, fühlt sich an wie im Schlaraffenland.
Immer, wenn ich nach La Paz fahre, stöbere ich zuerst in den Antiquitätenläden bei der Plaza San Francisco herum und kaufe kleine Geschenke.
Die Strassenhändler stehen dicht gedrängt an den Strassen und versuchen, ihre Ware loszuwerden. Im Bücherladen kaufe ich eine Landkarte vom
Takesi-Yunga-Trail für den morgigen Trip nach Coroico und Postkarten für meine Freunde. Dann werden mir der Gestank und das Gedränge auf den
Strassen zu viel und ich fahre zurück ins Hotel, um mich für das neue Abenteuer auszuruhen. Die einheimischen Köche im Hotel Oberland kennen
die Schweizer Küche bestens und kochen mir Spätzli mit Gulasch, mein Lieblingsgericht.
Literatur:
Kakteen und andere Sukkulenten 54(2): 31. (2003)
Sulcorebutia dorana Gertel spec. nov. - eine neue Art aus dem nördlichsten Zipfel der Provinz Chuquisaca, Bolivien. Fortsetzung: Siehe Etappe 6, La Paz-Choro-Chairo
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