Bolivien - Jucker - Kakteen      

 
 











Feldarbeit
Etappe 9
Zudañez - Azurduy
November, Dezember 1993

Alle Bilder in dieser Etappe wurden ausser den Kulturfotos ab Dias digitalisiert.
Teufen - Sonntag, 21. November

Endlich ist es soweit. Nach langen Vorbereitungen und intensiver Planung wird meine erste dreiwöchige Wanderung durch Bolivien Wirklichkeit. Doch was ist die Motivation, eine so abenteuerliche Wanderung durch unwegsames Gebiet zu unternehmen? Und wieso gerade zu Fuss?

Dazu muss ich in die 1980 Jahre zurück. Als wir 1981 beabsichtigten, mit unserem VW Bus eine Reise von Alaska nach Feuerland zu unternehmen, bat mich mein Bruder, Samen von Kakteen in den verschiedenen Gebieten zu sammeln und ihm diese per Post zu schicken. Er hatte eine kleine Kakteensammlung. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung von Kakteen und wusste nur, dass diese Dornen haben. Doch beim Sammeln der Samen wurde mein Interesse an diesen stacheligen Pflanzen immer grösser. Als wir in Bolivien erstmals Sulcorebutien entdeckten, brach bei mir das Kakteenfieber endgültig aus. Insgesamt verbrachten wir gut ein Jahr in diesem faszinierenden Land und suchten meist entlang der wenigen Strassen nach Kakteen. Ein Verbreitungsgebiet der Sulcorebutien befindet sich im zentralen Landesteil zwischen Cochabamba und Sucre, ein anderes in der Region von Tarija im Süden des Landes. Wegen des ca. 280 km langen und schwer zugänglichen Berglandes zwischen Sucre und Tarija fanden wir dazwischen jedoch keine weiteren Vorkommen von Sulcorebutien.

Doch irgendwo muss es einmal eine Verbindung gegeben haben zwischen den nördlichen zu den südlichen Sulcorebutien. Möglicherweise gibt es diese bis heute noch, aber wo? Das nördliche Verbreitungsgebiet befindet sich in der Region von Sucre im zentralen Südteil des Landes und östlich davon in der Gegend von Zudañez und Tomina. Westlich von Zudañez erstreckt sich das Bergmassiv der Cordillera Mandinga ca. neunzig Kilometer weit nach Süden bis in die Region von Azurduy. Dieses kaum erforschte Gebirge entlang des zerklüfteten und tief eingeschnitten Tales des Rio Pilcomayo ist wenig durch Strassen erschlossen und schwer zugänglich. Will man dieses weitläufige und wenig besiedelte Gebiet nach Kakteen erforschen, ist man wochenlang zu Fuss in unwegsamen Bergland unterwegs.

Auf dieser Reise entlang der Cordillera Mandinga möchte ich herausfinden, ob es von Zudañez in Richtung Süden weitere Vorkommen von Sulcorebutien gibt. Aber auch andere Kakteengattungen sowie deren Verbreitung und unbekannte Beziehungen zwischen einzelnen Taxa und deren Kontaktzonen interessieren mich sehr.

Nach einer 25-stündigen Flugreise mit Stopp in Sao Paulo und Santa Cruz, erreiche ich fix und fertig La Paz. Mit dem Taxi geht es weiter nach Mallasa ins Hotel Oberland. Die Gartenwirtschaft, mit zugehörigem Tennisplatz, kleinem Hallenbad und Sauna ist voll besetzt mit Gästen. Ernesto steht am Grill und ist sehr beschäftigt mit braten von argentinischen Steaks. Zweihundert Teller müssen serviert werden, sagt er. Auch ich bekomme eines dieser schmackhaften Staks. Erst am Abend hat er Zeit für mich, jedoch auch nur beschränkt, da er noch als Barmann tätig ist. Trotzdem gibt es genügend Zeit zum Plaudern. Schliesslich gibt er mir ein Zimmer, in dem er selber manchmal übernachtet. Wir haben Ernesto 1982 in La Paz kennengelernt, als wir mit unseren VW Bus in ganz Südamerika unterwegs waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er in La Paz eine Schweizer Metzgerei eröffnet, und war Besitzer vom Schweizer Chalet. Das Hotel Oberland, das er selber gebaut hat, will er jetzt verkaufen an Walter Schmied, ebenfalls ein Schweizer, mit dem er seit vielen Jahren befreundet ist.






Mallasa - Montag, 22. November

An der Sonne im Garten mit angenehmem Klima gibt es ein feines Frühstück aus Früchten und frischen Brötchen. Danach kann ich mit Ernesto in die Stadt fahren. Mit voll bepacktem Rucksack geht es ins Instituto Geografico Militar, wo ich eine Kopie einer Karte von Sucre im Massstab 1:250´000 erhalte. Ich tausche noch Geld und fahre mit dem Taxi zum Flughafen. Das Einchecken nach Sucre sei um 11:40 Uhr, ist mir gesagt worden. Doch dann zeigt sich, dass dies die Abflugzeit ist! So laufe ich zügig aufs Flugfeld und habe Glück, dass die Türe noch offen steht. Dann geniesse ich einen schönen Flug mit sanfter Landung. Für die nächsten zwei Stunden miete ich ein Taxi, einen schrottreifen Lada, um verschiedene Einkäufe zu machen. Der Mann ist sehr nett und hilfsbereit und zeigt mir, wo ich Milchpulver, eine Schildmütze und Benzin für den Kocher kaufen kann. Um sicher zu gehen, dass der Kocher funktioniert, fahren wir zu ihm nach Hause und setzten diesen in Betrieb, alles OK. Danach bringt er mich zum Busbahnhof.

Landkarte mit Reiseroute und Busbahnhof in Sucre


Um 16:00 Uhr sitze ich bereits im vollbesetzten Bus und erreiche nach drei Stunden Tarabuco. Wegen des gestrigen Sonntagsmarkts sind noch viele Händler in traditioneller Kleidung unterwegs. An der Plaza finde ich eine einfache Unterkunft für 4 Bolo die Nacht - das entspricht einem US-Dollar. Das Bett ist zu kurz und die Matratze stinkt nach Hühnerstall. Ich schlafe lieber auf dem Boden.

An der Plaza in Tarabuco


Tarabuco - Dienstag, 23. November

Bereits frühmorgens bin ich unterwegs zum südlich gelegenen Hügel, dem Cerro Base Sud, um die von W. Rausch gefundene Aylostera brunescens zu suchen, die in der Region vorkommen soll. Überraschenderweise finde ich sie auf Anhieb im Moos zwischen Felsen, meine Feldnummer HJ 400.

HJ 400 Aylostera brunescens
Cerro Base Sud, 2km südlich von Tarabuco, 3´450 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Yamparaez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 400 - (Bild 1 ohne Klonangeben) dann folgt Klon 3, 6, 7 und 8 Aylostera brunescens

Ziemlich versteckt im Boden und kaum sichtbar wächst auch die Polster bildende Cumulopuntia rossiana mit ihren eiförmigen kleinen Triebsegmenten.

HJ 400b Cumulopuntia rossiana
Cerro Base Sud, 2km südlich von Tarabuco, 3´450m, Dep. Chuquisaca, Provinz Yamparaez, Bolivien

Foto: Hunkeler Cyrill, HJ 400b Cumulopuntia rossiana

Wieder in Tarabuco, hoffe ich auf einen Lastwagen, der mich nach Zudañez fährt. Doch nach drei Stunden vergeblichen Wartens mache ich mich zu Fuss auf den Weg. Endlich kommt ein Lastwagen, dessen Fahrer nach Zudañez möchte. Es sind nur wenige Leute auf der Ladebrücke. Der Fahrer rattert über die löcherige Schotterpiste, als sei er auf der Flucht. Die Sonne brennt erbarmungslos und ich kann bei dieser Fahrweise unmöglich meine Sonnenschutzcreme aus dem Rucksack holen, so dass ich jetzt schon meinen ersten leichten Sonnenbrand bekomme. In Zudañez angekommen, fülle ich meinen Wassersack und frage nach dem Weg in die Cordillera Mandinga. Schon bald entdecke ich in leicht hügeligem Gelände die ersten Sucorebutien tarabucoensis ssp. hertusii, Feldnummer HJ 401.

HJ 401 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii fa.
4km südwestlich von Zudañez, 2´700m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 401 - Klon 7, 9 und 16

Mein Rucksack, weit über 30 kg schwer, und die intensive Sonne machen mir jetzt schon zu schaffen. Ich muss mich erst an die neuen Gegebenheiten und das Klima gewöhnen. In einer kleinen Schlucht mit Wasser finde ich am späteren Nachmittag einen schönen Platz für die Nacht. Kleine grüne Papageien kreischen in den Bäumen, als ich eine Lasagne esse und dazu viel Tee trinke.


Tarabuco - Dienstag, 23. November

Camp 2. Tag

Die erste Nacht im Zelt auf ungewohnt hartem, steinigem Boden habe ich einigermassen gut überstanden. Der Tag macht sich langsam bemerkbar. Ich frühstücke an der aufgehenden Sonne und schreibe Tagebuch. Es herrscht absolute Ruhe, nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Es gibt nichts Schöneres als einen neuen Tag draussen in unberührter Natur. Im nahegelegenen Bach nehme ich ein erfrischendes Bad. Vorbei an vereinzelten Indiosiedlungen geht es weiter das Tal hoch. In einer kleinen Seitenschlucht entdecke ich eine Aylostera fiebrigii, die HJ 402, zusammen mit der Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii HJ 401. Weiter bergwärts wachsen Lobivia cinnaberina, Cleistocateen und Austrocylinderopuntia shaferi.

HJ 402 Aylostera fiebrigii fa.
4km südwestlich von Zudañez, 2´700m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime, Zudañez, Bolivien

Austrocylinderopuntia vestita
4km südwestlich von Zudañez, 2´700m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Beim letzten Indiohof vor dem Aufstieg in die Cordillera Mandinga frage ich nach dem Weg. Die ziemlich verwahrloste Frau sagt, dass es ab hier keinen Weg mehr gebe. So suche ich meinen eigenen, 500 Höhenmeter steil hoch bis auf den Hauptkamm. In den Felsen wachsen verschiedene Bromelien und Knollenbegonien. Erschöpft aber glücklich habe ich den ersten Leistungstest überstanden und erreiche den Gipfel. Ich gehe noch ein Stück nach Süden und finde einige wenige Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis, HJ 403.

HJ 403 Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis
Cordillera Mandinga, 8km südwestlich von Zudañez, 3´270m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien.

Die aus Samen herangezogenen Pflanzen der HJ 403 werden später zeigen, dass es bei dieser Population auch Mischformen gibt, Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis x Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii.

Ich befinde mich in einer Kontaktzone zwischen zwei verschiedenen Taxa. In Richtung Westen beginnt das Verbreitungsgebiet der Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis und nach Osten hin, in tieferen Lagen, jenes der Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii.

Kulturpflanze: HJ 403 Klon 1 Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis x Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii

Auf der Ostseite der Cordillera geht es weiter nach Süden. In einem Polylepis Wäldchen finde ich einen schönen Platz zum Zelten. Ich brauche dringend Wasser für die Nacht und muss dafür zweihundert Höhenmeter in eine kleine Schlucht absteigen. Es gibt genügend Holz und ich koche auf offenem Feuer.


Im Norden der Cordillera Mandinga, Camp 3. Tag - Donnerstag, 25. November

Camp 3. Tag

Bei Sonnenaufgang wandere ich auf der Westseite der Cordillera Mandinga nach Süden. Schon bald entdecke ich zwischen Moos und Flechten eine weitere Population von Sulcorebutien tarabucoensis var. tarabucoensis, HJ 403a. Es sind ähnliche Formen wie die zuletzt gefundenen.

Kulturpflanze: HJ 403a Klon 1 Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis
Cordillera Mandinga, 8km südwestlich von Zudañez, 3´200m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Es gibt hier keinen Weg und das Vorankommen ist sehr mühsam, dazu kommt die unerträglich stechende Sonne. Wasser gibt es auch keines und ich muss sparsam damit umgehen. Ich erreiche den Hauptkamm mit Sicht in die beidseits gelegen Täler. Hier wachsen weitere Population von Sulcorebutien tarabucoensis var. tarabucoensis. die HJ 403b.

HJ 403b Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis
Cordillera Mandinga, 9km südwestlich von Zudañez, 3´200m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 403b Klon 1 und 3

Überraschenderweise wachsen hier vereinzelt auch Aylosterea brunescens, die HJ 400a.

HJ 400a Aylostera brunescens
Cordillera Mandinga, 9km südwestlich von Zudañez, 3´200m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Entlang dieses Bergrückens gelange ich auf einen Weg, der von Osten nach Südwesten in ein Tal führt. Unten angekommen, bade ich meine schmerzenden Füsse im Bach und mache Mittagspause. Mein Weg führt weiter entlang der Cordillera Mandinga bis ans Ende des Tals und von dort weiter ins nächste Tal mit kleinen Indiosiedlungen. Dort gibt es fliessendes Wasser und einen idealen Platz für die Nacht mit genügend Holz zum Kochen.


Auf der Westseite der Cordillera Mandinga, Camp 4. Tag - Freitag, 26. November

Camp 4. Tag

Nach einem ausgiebigen Frühstück wandere ich weiter das Tal hoch. Bald bläst mir ein stürmischer, kalter Wind entgegen und es fängt an zu regnen: ein richtiges Sauwetter. Am Ende des Tals steige ich auf den Cerro Jatun Punta; erfreulicherweise zeigt sich da die Sonne zögerlich wieder. Dort wachsen wieder zahlreich kleine Sulcorebutien mit meist magentafarbenen Blüten. Schnell stellt sich heraus, dass es wieder Mischformen sind von Sulcorebutia tarabucoensis x Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii, die HJ 403c.

HJ 403c Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis x Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
Cerro Jatun Punta, Cordillera Mandinga, 3´270m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanze: HJ 403c Klon 1

Ich treffe auf einen Indio, der mit seinem Esel Holz sammelt. Er ist auf dem Heimweg und so wandern wir gemeinsam ins nächste Tal. Dort will ich weiter Talaufwärts gehen, doch der Indio sagt, es gebe keinen Weg. Ich solle ihm weiter nach Osten folgen, bis zu einem nahegelegenen Berg. Dort müsse ich das nächste Tal hochsteigen und gelange so irgendwann auf die Strasse, die von Icla nach Azurduy führt.

Indio mit Kleidung derJampara-Kultur

Am späten Nachmittag erreiche ich eine auf 3´500m gelegene Hochebene, jedoch weit und breit keinen Weg oder Strasse, dafür einen schönen Platz für die Nacht.

Camp 5. Tag


Cerro Jatun Punta, Camp 5. Tag - Samstag, 27. November

Heute Morgen ist der Himmel grau und wolkenverhangen. Mystisch schleichen geisterhaft Nebelschwaden in der Landschaft umher, und es ist kalt. Meist im dichten Nebel und wenig Sicht wandere ich Richtung Westen durch zerklüftetes und unwegsames Gebiet. Einmal geht es steil hoch, dann wieder steil hinunter. Wieder entdecke ich auf 3´300 m Sulcorebutia tarabucoensis, die HJ 403d. Die aus Samen herangezogenen Pflanzen werden später zeigen, dass auch in dieser Population es Mischformen gibt von Sulcorebutia tarabucoensis x tarabucoensis var. hertusii.

Kulturpflanze: HJ 403d Klon 2
Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis x Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
Cerro Jatun Punta, Cordillera Mandinga, 3´270m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanze: HJ 403d Klon 3
Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis
Cerro Jatun Punta, Cordillera Mandinga, 3´270m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Über einen weiteren Pass erreiche ich das Einzugsgebiet des Rio Icla. Von dort führt ein Weg hoch auf das Plateau des Cerro Puca Khakha und weiter nach Icla. In diesem Gebiet, das teilweise besiedelt ist, finde ich notdürftig einen Platz für die Nacht. Mein Körper fühlt sich an, als ob ich in eine Wurstmaschine geraten sei.


Nördlich von Icla, Camp 6. Tag - Sonntag, 28. November

Die Bauern kommen mit ihren Tieren zur nahegelegenen Tränke. Es scheint sie nicht sonderlich zu beeindrucken, hier oben ein Gringo mit Zelt zu sehen. Ich sei auf dem richtigen Weg nach Icla sagen sie. Sie fragen nicht woher ich komme und was ich hier mache, sondern ziehen einfach weiter mit ihren Tieren. Als ich meine Schuhsolen in Betrieb setze, bin ich erstaunt darüber, auf dem Weg eine beinahe durchgehende Blutspur zu sehen. Hat sich hier vielleicht jemand ernsthaft verletzt und ist unterwegs zur nächsten Notfallstation, frage ich mich. Doch kurz bevor sich der Weg an einer fast senkrechten Felswand hinunter nach Icla schlängelt, klärt sich diese gruselige Geschichte. Dort stehen zwei junge Männer mit Esel, die frisch geschlachtetes Fleisch nach Icla transportieren. Bevor sie den steilen Abstieg in Angriff nehmen, kontrollieren sie, ob ihre Ladung gut befestigt ist.

Fleischtransport

Hier oben hat man einen weiten Blick nach Westen in die Ebene von Icla und ins Tal des Rio Pilcomayo.

Blick in die Ebene von Icla und ins Tal des Rio Pilcomayo

Beim Abstieg wachsen in den Felsen meist unerreichbar drei verschiedene Kakteengattungen. In grossen Gruppen der Cleistocactus especie mit grünen schlanken sich wenig öffnenden Blüten. Dazu eine Weingartia HJ 404, die in den Formenkreis der Weingartia neogumingii gehört (Weingartia pilcomayensis). Dazu eine polsterbildende Parodia HJ 406, die vermutlich in den Formenkreis der Parodia multicostata einzuordnen ist.

Cleistocactus especi
1 km östlich von Icla, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

HJ 404 Weingartia neocumingii var. pilcomayensis
1 km östlich von Icla, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 404 Klon 1(3x), 10 und 76

HJ 406 Parodia multicostata fa.
1 km und 9 km östlich von Icla, 2´700 m - 3´000 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Der Wasservorrat ist längst aufgebraucht und der quälende Durst zwingt mich schnell ins Tal zu laufen. Östlich von Icla erreiche ich die Strasse, die nach Osten in die Cordillera Mandinga führt. Entlang dieser, gibt es eine Trinkwasserleitung. Glücklicherweise ist diese an einer Stelle geborsten, so dass ich Wasser tanken kann. Bei der Estancia Chahuarani sagen die Leute, dass diese Strasse auf die Cordillera Mandinga und weiter bis nach Tarvita führen würde. Es fahre jeden Mittwoch ein Lastwagen von Tarabuco. Auf meiner Karte sind jedoch nur Fusswege eingezeichnet. Das Wandern auf der Landstrasse bei dieser Hitze ist brutal, zermürbend und langweilig. Doch dann auf ca. 3´000 m werden meine Lebensgeister wieder geweckt, als ich eine bühende Lobivia cinnaberina entdecke, die HJ 405 und ein weiterer Standort der Parodia multicostata, die HJ 406.

HJ 405 Lobivia cinnaberina
9 km östlich von Icla, 3´000 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen HJ 405 Klon 2, 3 (2x), 4, 5 und 20

Kurz vor dem ersten Pass am Fusse des Cerro Viscachayo finde ich zwischen Polylepisbäumen einen schönen Platz für die Nacht mit Sicht ins Tal von Icla.


Östlich von Icla, Camp 7. Tag - Montag, 29. November

Camp 7. Tag östlich von Icla mit Blick zum Cerro Puca Khakha

Die Nacht war kühl und sternenklar. Ich fühle mich fit für neue Abenteuer und erreiche schon bald den Cerro Viscachayo. Hier oben entdecke ich zwischen Gräsern und niedrigen Büschen ein weiterer Standort von Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis, die HJ 403e. Einige davon zeigen kräftig rote Blüten.

HJ 403e Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis
20 km südöstlich von Icla, Cerro Viscachaya, Cordillera Mandinga, 3´450 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Auf dem nächsten Pass Richtung Süden gibt es nur noch vereinzelt Sulcorebutia tarabucoensis. Es ist das südlichste Vorkommen, das ich lokalisieren konnte. Danach erreiche ich ein feuchtes Hochtal mit nur einem unbewohnten Haus namens Huayllas. Was für eine Freude - ein glasklarer Bach fliesst gemächlich über flaches Gelände. Eine gute Gelegenheit für ein erfrischendes Bad und um Kleider zu waschen.

Mittagspause bei Huayllas

In diesem Hochtal wandere ich weiter Richtung Süden. In einem felsigen Gebiet auf 3´600 m mache ich mich erneut auf Kakteensuche. Es dauert nicht lange und ich werde überrascht von einer mir unbekannten Sulcorebutia, die HJ 407. Auffallend sind die ineinander verflochtenen schwarzen Dornen. Ich habe angenommen, diese Pflanzen würden nur in gelber Farbe blühen. Doch spätere Reisen in diese Region haben gezeigt, dass an den jeweiligen Standorten es auch verschiedenfarbige Blüten gibt. Sie unterscheiden sich deutlich von der letztgefundenen Sulcorebutia tarabucoensis. Langjährige Beobachtungen in Kultur haben gezeigt, dass es eine neue Art ist. Sie wurde 2006 in "Kakteen und andere Sukkulenten" erstbeschrieben als Sulcorebutia cantargalloensis, benannt nach dem Berg Cerro Cantargallo, wo sie beheimatet

HJ 407 Sulcorebutia cantargalloensis
30 km südöstlich von Icla, Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen HJ 407 Klon 1, 3 (2x) und 4

Fast am Ende des Hochtals auf 3´800 m auf saftigen Wiesen und einem kleinen Bach finde ich ideale Bedingungen für die Nacht. Im nebenstehenden aus Stein gebautem Tiergehege gibt es ideale Bedingungen für ein Lagerfeuer. Bei aufgehendem Sternenhimmel koche ich ein feines Risotto.

Camp 8. Tag am Cerro Cantargallo


Cerro Cantargallo, Camp 8. Tag - Dienstag, 30. November

Die ersten Sonnenstrahlen wärmen mein Zuhause, und als ich meinen Kopf aus dem Zelt strecke, glitzern wie Perlen gefrorene Tautropfen an den Gräsern und kleinen Büschen. Schon bald erkunde ich die weitere Umgebung und komme ins Staunen über die Pflanzenvielfalt, die hier zu entdecken ist. Da stehen zwischen grossen Felsen auf saftig grünen Wiesen grosse Gruppen von Echinopsis tarijensis ssp. tarijensis, deren cremefarbenen bis gelben Blüten sich gerade öffnen.

Echinopsis tarijensis ssp. tarijensis
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Lobivia chrisochete
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Nicht zu übersehen sind die am Steilhang wachsenden Lobivia chrysocheten, die wie Sitzhöcker in der Landschaft stehen. Diese Attraktion wird noch verschönert von einer krautigen und gelbblühenden Orchideenart, vermutlich der Gattung (Chloraea) die in Südamerika beheimatet ist.

Familie: Orchidaceae, Gattung: Chloraea spec.
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Beim genaueren Hinsehen entdecke ich weitere botanische Kostbarkeiten wie die kleinwüchsigen Echeverien mit den etwas rötlich zugespitzten dickfleischigen Blättern. Die sehr kurzen gelbrötlichen Blütenrispen ragen nur wenig aus den Rosetten. Diese Merkmale lassen schliessen, dass es sich um die Echeveria peruviana handeln könnte.

Echeveria peruviana
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Zwischen all diesen erwähnten Pflanzen sieht man vereinzelt auch noch blaue Farbtupfer, es sind Herbertia, eine Pflanzengattung aus der Familie der Schwertliliengewächse (Iridaceae).

Gattung Patersonia, Familie der Schwertliliengewächse, Irdiaceae
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Der kleinwüchsige Oxalis argentina findet man nur, wenn er gerade am Blühen ist. In feuchten Mulden wächst vereinzelt auch der Schlangenbärlapp, (Lycopodium saurus), Familie der Lycopodiaceae. Er bildet schlanke, schlauchartig und dicht nach oben, von der Basis her reich verzweigte Gruppen. Sie gehört in die Gattung der Keulenmoose.

Oxalis argentina
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Schlangenbärlapp, Lycopodium saurus, Familie der Lycopodiaceae, Gattung der Keulenmoose
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Vereinzelt wächst auch eine mir unbekannte rosettenartige Pflanze mit behaarten Blättern, aus deren Mitte sich Blütenknospen bemerkbar machen.

Unbekannte Rosettenpflanze
Cerro Cantargallo, Cordillera Mandinga, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Die Pflanzenvielfalt an diesem Ort kann damit begründet werden, dass die von Osten herangeführte feuchte Luft sich in diesem Hochtal staut und über längere Zeit liegen bleibt.

Fast am Ende des Tales führt die Strasse weiter nach Süden. Ich jedoch nehme den breit angelegten Fussweg weiter ins Tal, der nach Chunca Cancha führt. Nach Westen führt dieser später hoch auf einen Pass. Dabei wird das Klima zunehmend trockener. In felsigem Gelände, wo auch vereinzelt Polylepis-Bäume stehen, entdecke ich zu meiner Überraschung Formen von Aylosteras, die HJ 408. Sie sind in der Passregion weit verbreitet. Beobachtungen der heranwachsenden Pflanzen in Kultur haben gezeigt, dass es Formen sind von Aylostera atrovirens. Es kann vermutet werden, dass dieser Ort das nordöstlichste Vorkommen ist, dieser in Südbolivien weitverbreiteten Art. Vereinzelt wachsen auch Austrocylinderopuntia shaferi.

HJ 408 Aylostera atrovirens fa.
5 km östlich Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 408 Klon 1, 20 und 22

Austrocylindropuntia shaferi
5 km östlich Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Oben auf dem Pass hat man einen weiten Blick ins trockene Tal des Rio Pilcomayo. Beim Abstieg zur Estancia Chunca Cancha sind die kurztrichterig, kräftig roten Blüten der Lobivia cinnaberina, HJ 409, kaum zu übersehen.

HJ 409 Lobivia cinnaberina
Estancia Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´400 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Die Estancia Chunca Cancha mit einer kleinen Kirche und wenigen Häusern ist wie ausgestorben. Die Bauern sind am Pflügen und die Kartoffeln werden in die Furchen gelegt. Gab es heute Morgen noch saftig grüne Wiesen, ist es hier knochentrocken.

Estancia Chunca Cancha

Von hier geht es auf der Westseite der Cordillera Mandinga weiter in Richtung Süden. Das Gelände ist schroff, steil und steinig und ich suche lange für einen geeigneten Ort für die Nacht. Danach irre ich noch eine Stunde wie die Ziegen im steilen Gelände umher, um nach Wasser zu suchen. Zufrieden, wenn auch todmüde, geht ein erfolgreicher und abwechslungsreicher Tag zu Ende.


Estancia Chunca Cancha, Camp 9. Tag - Mittwoch 1. Dezember

Camp 9 Tag, Estancia Chunca Cancha

Als ich am Morgen meinen Kopf aus dem Zelt strecke, sehe ich nur eine weisse Nebelwand. Ich brauche mich also nicht zu beeilen und frühstücke gemütlich. Als die Sicht besser wird, mache ich mich auf den Weg und stand irgendwann plötzlich vor einem Indio-Hof. Die Menschen haben mich kommen sehen, wie ich wie ein Geist aus den Nebelschwaden auftauche. Sie sind fürchterlich erschrocken, eine fremde Gestalt vor sich zu sehen und sind in die Felder geflüchtet. Ich blieb eine Weile stehen, lege mein Rucksack ab und warte. Nach einer Weile wagt sich der älteste der 13-köpfigen Familie zurück zum Hof, und wir nähern uns langsam. Der Mann spricht nur die Quechua Sprache, aber er spürt, dass ich nichts Böses im Schilde führe und ruft den Rest der Familie zurück.

Ich bin erstaunt darüber, dass eine so grosse Familie in einem so kleinen Haus leben kann, das nicht grösser ist als bei uns ein Hühnerstall. Schon bald entspannt sich die Lage und alle wollen wissen, woher ich komme, wohin ich gehe, und was ich hier mache. Zumindest habe ich das vermutet, denn ich verstehe ihre Sprache nicht. Doch es werden immer dieselben Fragen gestellt, wenn ich Menschen begegne.

Es dauert nicht lange und eine ältere Frau streckt mir einen Holzteller vor mein Gesicht mit Reis und einem Knochen, wo etwas Fleisch daran ist. Das ist sehr gastfreundlich, vor allem wenn man sieht, dass die Familie nur das allernötigste besitzt, um zu überleben. Eigentlich habe ich keinen Hunger, schon gar nicht, wenn ich auf diesen Teller schaue. Ich sollte mich schämen für diesen Gedanken und ein wenig was essen. Doch dann schiesst plötzlich ein Hund bellend um die Ecke, und ich bin derart erschrocken, dass ich den Teller fallen liess, und ruck zuck war mein Essen weggeputzt. Ganz ehrlich gesagt bin nicht traurig darüber. Ich wollte der Familie keine weiteren Unannehmlichkeiten machen, bedanke mich und frage nach dem Weg. Die Kinder, es sind viele, bekommen je einen Schokoriegel. Selten habe ich solch strahlende Gesichter gesehen. Auch ich bin reicher geworden, an dem was ich erleben durfte, obwohl ich jetzt keine Schokoriegel mehr habe.

Besuch bei Indio-Familie

Der Nebel ist verschwunden und schon bald entdecke ich eine mir unbekannte Kakteenart, die Feldnummer HJ 410. Als ich diese ca. 10 cm dicken Pflanzen mit meist längeren abstehenden Dornen etwas genauer betrachte, war mein erster Gedanke, es könnten Weingartien sein. Doch als ich sehen kann, dass es Knospen und Blüten gibt, die seitlich und an der Körperbasis erscheinen, kam der Gedanke, es könnten auch Sulcorebutien sein. Die aus Samen herangewachsenen Pflanzen in Kultur haben gezeigt, dass es sich um eine neue Art von Sulcorebutia handelt.

Im Jahre 2003 habe ich diesen Standort noch einmal aufgesucht, um fehlende Informationen für eine Erstbeschreibung zu bekommen. Musste jedoch wegen einer Lungeninfektion mein weiteres Vorhaben abbrechen, (siehe Bolivien Etappe 10).

Die Pflanze wurde 2004 in "Kakteen und andere Sukkulenten" als Sulcorebutia juckeri erstbeschrieben. Auf weiteren Reisen in die Cordillera Mandinga und anderen Regionen westlich des Rio Pilcomayo habe ich weitere Standorte der Sulcorebutia juckeri, in etwas abweichenden Formen gefunden. Bis heute wird über die Herkunft und Zugehörigkeit dieser Pflanze gerätselt, da es in der weiteren Umgebung weder Kontaktzonen noch Übergansformen zu anderen Sulcorebutien gibt. Es scheint, als ob diese Pflanze vom Himmel gefallen sei.

HJ 410 Sulcorebutia juckeri
3 km südlich Estancia Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´400 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 410 Klon 2, 8, 9 und 11 (3x)

Kulturpflanzen: HJ 410 Klon 12, 15 (2x), 16, 18 und 22

Durch verschiedene Seitentäler führt der Weg rauf und runter durch knorrige Polylepis- und lockere Akazien-Wäldchen. Ich erreiche ein steil abfallendes Gelände und sehe plötzlich farbig rote Punkte zwischen den Felsen. Es sind blühende, weiss bis gelblich bedornte Formen von Aylostera fiebrigii, die HJ 411.

Polylepis-Wald

HJ 411 Aylostera fiebrigii
Region Estancia Uña Huataña, Cordillera Mandinga, 3´100 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 411 Klon 6, 11 und 27

In einem schmalen Taleinschnitt finde ich einen schönen Platzt für die Nacht. Ich schreibe Tagebuch und bewundere den leuchtend klaren Sternenhimmel.


Hacienda Mara Pampa, Camp 10. Tag - Donnerstag, 2. Dezember

Weit im Westen hoch über dem Tal des Rio Pilcomayo erreichen die ersten Sonnenstrahlen die höchsten Berggipfel. Ich setzte mein Schuhwerk in Betrieb in Richtung Süden. Obwohl sich die wärmende Sonne noch hinter den hohen Bergen versteckt, nehme ich im nächsten Taleinschnitt ein erfrischendes Bad, frühstücke gemütlich und wasche Kleider. Jetzt nach 10 Tagen wandern hat sich mein Körper an die Strapazen gewöhnt, und ich fühle mich top fit.

Schon bald erreiche ich die Estancia Uña Huataña umgeben von braunen kargen Äckern. Nur die Kartoffelfelder, die bewässert werden, zeigen ein frisches Grün. Die Bauern sind mit Schaufel und Pickel unterwegs auf ihre Felder. Im Schulhof spielen und lärmen die Kinder und warten auf den Unterricht.

Camp 9 Tag, Estancia Uña Huataña

In steilen Serpentinen geht es hoch auf einen langgezogenen nach Westen abfallenden Gebirgskamm. Hier oben auf 3´200 m gibt es erneut eine Überraschung. Tief im lehmigsandigen Boden, aber auch zwischen Steinen wachsen wieder mir unbekannte Sulcorebutien, die HJ 412. Die Pflanzen haben oft eine sehr dunkle Körperfarbe, kurze anliegende Dornen und machen grosse Sprosshaufen. Ich habe das Gelände weitläufig abgesucht und dabei weitere Standorte gefunden mit roten Blüten.

2005, auf einer weiteren Reise in diese Region, konnte ich während mehreren Tagen das ganze Verbreitungsgebiet dieser Sulcorebutia lokalisieren. Die aus Samen herangezogenen Pflanzen und jahrelangen Beobachtungen haben gezeigt, dass eine nähere Verwandtschaft zu den weiter südlich vorkommenden Sulcorebutia azurduyensis besteht. Wie sich später zeigen wird, gibt es zwischen diesen beiden Verbreitungsgebieten mancherorts Überlappungen und diverse Kontaktzonen dieser beiden Habitate.

Zwischenzeitlich hat sich bei den Kakteensammlern herumgesprochen, dass es eine Strasse gibt auf der Cordillera Mandinga von Icla bis Tarvita. Das haben sich die Tschechen zunutze gemacht und diese Pflanze östlich von meinem Standort entlang der Strasse gefunden. Unser Manuskript dieser Erstbeschreibung "Sulcorebutia azurduyensis var. mandingaensis" war bereits für die Redaktion, "Succulenta", vorbereitet. Zufälligerweise hat Willi Gertel vernommen, dass auch die Tschechen beabsichtigen, diese Sulcorebutia als neue Art zu publizieren. Willi machte die Tschechen darauf aufmerksam, dass ich der erst Entdecker dieser Pflanze war, und wir diese demnächst publizieren würden. Das hat die Tschechen allerdings nicht davon abgeschreckt, diese so schnell wie möglich zu veröffentlichen. Wobei keine Angaben über deren Verbreitung und möglichen Kontaktzonen zu anderen Habitaten gemacht wurden. Sie wurde im Jahre 2011 in der tschechischen Zeitschrift "Kaktusy" als Sulcorebutia sormae beschrieben, benannt nach dem Entdecker. Das war Egoismus pur.

Die Pflanze wurde im Heft "Echinopsen 9 (2) 2012 Seite 55-60" umkombiniert, als Sulcorebutia azurduyensis Gertel, Jucker & de Vries var. sormae (Hertus, Horácek & Slaba) Gertel & Jucker
HJ 412 Sulcorebutia azurduyensis var. sormae
Cerro Huanaco, Cordillera Mandinga, 3´100 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

In der weiteren Umgebung stehen weit verstreut Puya weddelliana, deren blauen Blütenrispen wie Kerzen in den Himmel ragen.

Puya weddelliana
Cerro Huanaco, Cordillera Mandinga, 3´100 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Lange suche ich vergeblich nach dem Weg ins enge tiefe Tal des Rio San Juan. Das war nicht verwunderlich, denn dieser führt kaum sichtbar in einer Bachrunse schnurgerade in die Schlucht. Gleich zu Beginn entdecke ich eine mir unbekannte sprossende Parodia mit roten wie auch gelben Blüten, die HJ 413. Es gibt nur wenige Pflanzen, und es ist anzunehmen, dass ich mich im Randgebiet dieser Art befinde. Dies hat sich bestätigt, als ich später im Jahre 2011 auf demselben Gebirgskamm oberhalb des Rio San Juan nach Westen bis ins Mündungsgebiet des Rio Pilcomayo gewandert bin. Dabei konnte ich mehrere Standorte lokalisieren. Diese unbekannte neue Art ist in Bearbeitung und wird in absehbarer Zeit erstbeschrieben.

HJ 413 Parodia spec.
2 km westlich Estancia Troya, oberhalb des Rio San Jose, Cordillera Mandinga, 2´675 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 413 Klon 1

Seit Stunden ist meine Kehle völlig ausgetrocknet und kann kaum mehr schlucken. Ich habe gehofft, in diesem ausgetrockneten Bachbett irgendwo eine Wasserpfütze zu finden, jedoch ohne Erfolg. Zumindest gibt es auf einem Kiesbett einen idealen Zeltplatz. Doch ohne Wasser wird es wohl eine qualvolle Nacht geben. Ich sitze nachdenklich auf einem Stein und beobachte die kreischend grünen Papageien im Geäst und die weiss blühenden Tillandsien. Als wieder absolute Ruhe herrscht, höre ich Geräusche von Wasser und dachte, ich hätte Halluzinationen. Als das Geräusch immer wieder zu hören ist, will ich herausfinden, woher dieses kommt. Im losen Kies fange ich an zu graben und tatsächlich stosse ich auf Wasser, das unterirdisch durchs Kiesbett fliesst, was für eine Freude.

Camp 11. Tag oberhalb Rio San Jose

Tillandsia spec.
oberhalb des Rio San Jose, Cordillera Mandinga, 2´500 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien


Oberhalb des Rio San Jose, Camp 11.Tag - Freitag, 3. Dezember

Ein angenehmer würziger Duft liegt in der Luft, Vögel zwitschern, und die ersten Sonnenstrahlen erleuchten das frische Grün. Schon bald mündet das von Sträuchern zugewachsene Bachbett in eine enge schroffe Schlucht mit riesigen herumliegenden Felsen. Es ist schwierig, sich in diesem steilen unwegsamen Gelände zu bewegen, und oft denke ich, ein Weiterkommen sei unmöglich. Doch ein Zurück wäre noch schwieriger. So kämpfe ich mich weiter durch diese schroffe Steinwüste und erreiche völlig verdreckt und verschwitzt den Talboden des Rio San Jose. Zufrieden wie ein kleiner Junge plansche ich im glasklaren Wasser.

Abstieg zum Rio San Jose

Am Rio San Jose

Vergeblich suche ich auf der anderen Talseite den Weg in die Berge. So wandere ich in schwierigem Gelände zwischen grossen Steinen flussabwärts. Bald verengt sich das Tal und die Felswände sind überwuchert von üppiger Vegetation. Auffällig sind dort die gross gewachsenen Tillandsien australis.

Tillandsien australis
Rio San Jose, Cordillera Mandinga, 2´300 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Beim genaueren Hinsehen wachsen dort auch verschiedene Kakteengattungen wie zum Beispiel die HJ 414, Blossfeldia liliputana, und die HJ 415 Parodia gibbulosa.

HJ 414 Blossfeldia liliputana und HJ 415 Parodia gibbulosa
Rio San Jose, Cordillera Mandinga, 2´300 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Doch es gibt noch eine weitere Parodia, die HJ 416. Sie gehört in denselben Formenkreis wie die gestern gefundene Parodia HJ 413. Wegen des etwas schattigen Standorts in diesem engen Tal haben diese Pflanzen eine mehr lockere Bedornung und wachsen etwas zylindrisch.

HJ 416 Parodia spec. (Synonym: HJ 413 Parodia spec.)
Rio San Jose, Cordillera Mandinga, 2´300 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Vereinzelt wächst auch noch eine Weingartia, die HJ 417. Diese mir damals unbekannte Pflanze gehört in den gleichen Formenkreis von Weingartien, die ich auf späteren Reisen beidseits des Rio San Jose wieder gefunden habe. Bis heute ist unklar; wo diese zuzuordnen ist.

HJ 417 Weingartia spec.
Rio San Jose, Cordillera Mandinga, 2´300 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Weiter flussabwärts begegne ich einem Indio, der am Brennholz sammeln ist. Als ich nach dem Weg frage zur Estancia Molle Cancha, sagt er, ich sei viel zu weit flussabwärts gewandert. Ich könne entweder zurück oder auf der anderen Talseite den Rio Tolrero hoch. Der Weg in die Berge sei jedoch schlecht und kaum zu finden. Dennoch beschloss ich dieses Risiko einzugehen, was im Nachhinein keine gute Idee war. Am Anfang geht es flott voran, doch schon bald liegen riesige Felsbrocken im Talboden, und später bei einem Wasserfall gibt es kein Weiterkommen.

entlang des Rio Tolrero

Ich versuche diesen weiträumig zu umgehen und steige den felsigen von Schutt bedeckten Steilhang hoch. Nach ungefähr hundert Höhenmeter entschied ich, weiter hochzusteigen, in der Hoffnung, auf diese Weise aus der Schlucht zu gelangen. Und als ich erstmals in die Tiefe blicke, wird mir fast schwindelig. Trotzdem steige ich weiter bis zu einer kleinen Felswand, wo oberhalb dieser Sträucher und Bäume wachsen. Wenn es mir gelingt, dorthin zu gelangen, so hätte ich es geschafft. Erstmals kann ich mich von meinem Rucksack befreien und mache Pause. Doch als ich feststellen muss, dass es bei der Felswand kein Weiterkommen gibt, bin ich am Boden zerstört. In gut einer Stunde wird es dunkel sein. Den ganzen Weg zurück macht mir Angst, ich bin erschöpft und meine Beine zittern. Sollte ich hier abstürzen, wird kaum jemand nach mir suchen. Eine erfreuliche Erkenntnis gibt es dennoch. Auf der anderen Talseite scheint das Gelände nicht ganz so steil zu sein. Es wachsen Bäume und Sträucher bis weit ins Tal hinunter. Beim Abstieg muss jeder Schritt überlegt sein und vor allem nicht in die Tiefe schauen. So arbeite ich mich langsam aber sicher zurück in die Schlucht. In der Abenddämmerung kurz vor dem Eindunkeln finde ich auf einer Kiesbank notdürftig einen Platz für die Nacht. Erschöpft, dreckig und verschwitzt liege ich im kühlen Nass, fülle meinen Bauch mit frischem Wasser, und bin glücklich noch da zu sein. Ich bin aufgewühlt und todmüde. Trotzdem finde ich keinen Schlaf. Mitten in der Nacht gibt es Durchfallalarm, und ich schaffe es gerade noch nach Draussen. Ich vermute das Wasser ist mit Bakterien verschmutzt von Menschen und Tieren, die oberhalb der Schlucht leben. Ich schlucke das Medikament Bactrim und verbringe eine schlaflose Nacht.


Am Rio Tolrero, Camp 12. Tag - Samstag 4. Dezember

Mein Magen ist leer, ich fühle mich elend und schwach, und trotzdem bin glücklich. Denn auf der anderen Talseite entdecke ich bald einen kaum sichtbaren und schwer begehbaren Weg in die Berge. Doch als dieser ins dichte mit langen Stacheln versehene Akaziengestrüpp führt, wird es ungemütlich. Schon bald bin ich von Kopf bis Fuss zerkratzt, will aber nicht jammern, sollte ich dann unbeschadet aus dieser Hölle herauskommen.

Von hier aus hat man Blick auf die andere Talseite, wo es gestern beim Felsabbruch kein Weiterkommen gab. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, wie gefährlich dieser Aufstieg war.

Blick auf meinen gefährlichen und erfolglosen Aufstieg von gestern auf der anderen Talseite

Mein Durchfall hat mich arg geschwächt und ich komme nur schleppend voran. Die Mittagssonne, stechend wie ein Brennglas, zwingt mich des Öfteren Pause zu machen. Mein Wasservorrat ist fast aufgebraucht, und das wenige reicht gerade noch um die Kehle feucht zu halten. Am späteren Nachmittag nach acht Stunden und 900 Höhenmeter Aufstieg erreiche ich das Grasland. Erschöpft sitze ich auf einem Felsen, mache Pause und geniesse die weite Sicht ins Tal des Rio Pilcomayo. Ich bin froh diesen Horrortrip ohne Schaden überstanden zu haben und hoffentlich dabei gelernt, Gefahren besser einzuschätzen. Dann plötzlich sehe ich Sulcorebutien neben mir in den Felsritzen wachsen, die HJ 418. Sie ähnelt der Sulcorebutia azurduyensis var. sormea, die ich auf der gegenüberliegenden Talseite gefunden habe.

HJ 418 Sulcorebutia azurduyensis var. sormea x Sulcorebutia azurduyensis
Estancia Molle Cancha, Cordillera Mandinga, 3´500 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 418 Klon 1, 3, 4, 5, 7 und 9

Verschiedene Merkmale der heranwachsenden Pflanzen in Kultur deuten darauf hin, dass es Mischformen sind von Sulcorebutia azurduyensis var. sormea zu den später gefunden Sulcorebutia azurduyensis.

Schon bald erreiche ich den breit angelegten Weg, den ich am Rio San Jose vergeblich gesucht habe.

Mein Weg nach Süden

Dann endlich, in einer felsigen Bachrunse finde ich Wasser und einen Platz für die Nacht.


Region Estancia Molle Cancha, Camp 13. Tag - Sonntag, 5. Dezember

Ich habe lange und gut geschlafen, fühle mich gut, und habe einen Bärenhunger. Zum Frühstück gibt es Kartoffelstock mit Fleisch und Gemüse. Es ist kalt, der Himmel ist wolkenverhangen und es scheint, als ob es bald regnen kommt.

Camp 13. Tag, Region von Estancia Molle Cancha

Heute Sonntag bin ich spät unterwegs, und als ich in einsamer Landschaft an einem Schulhaus vorbeikomme, fängt es sintflutartig an zu regen. Die Tür steht offen, und ich setzte mich seit langem wieder auf eine Schulbank, die für meine Grösse viel zu klein ist. Die Holzbänke und Tische stehen ungeordnet herum, dazwischen liegen Papierabfälle und Plastikflaschen. Die Schreibtafel liegt am Boden, und die wenigen Fenster sind zerborsten. Der Regen prasselt laut aufs Blechdach und Bäche rauschen über die grünen Matten. Ich muss mich also nicht beeilen und schreibe Tagebuch. Am Nachmittag beruhigt sich die Lage, und ich stampfe weiter durch feuchte Wiesen und überquere halsbrecherisch reissende Bäche. Weit verstreut erfreuen sich Schafe am saftigen grün. Dann wie aus dem Nichts stehe ich auf der Strasse, die von Icla über die Cordillera nach Tarvita führt. Hier bei der Estancia Muyurinayoi warten einige Leute auf den Lastwagen, der heute nach Sucre fahren soll.

Estancia Muyurinayoi

Auf dem Pass, 3´400 m mit wunderschönem Blick ins weite Tal des Rio Pilcomayo, finde ich zwischen Steinen und Gras erneut eine Population von Mischformen der Sulcorebutien azurduyensis var. sormea x Sulcorebutia azurduyensis, die HJ 419.

HJ 419 Sulcorebutia azurduyensis var. sormea x Sulcorebutia azurduyensis
Estancia Muyurinayoj, Cordillera Mandinga, 3´500 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Tomina, Bolivien

Obwohl es kein Wasser gibt und nur wenig Tee übrig ist, möchte ich die Nacht hier oben verbringen und die Schönheit der Landschaft geniessen. Die letzten Sonnenstrahlen zwängen sich durch die Wolken. Ein Nebelmeer liegt im Tal, ein Spiel von Licht und Schatten, Schafe ziehen über die Wiesen und aus der Stille ertönen sanfte Flötenklänge der Hirten.

Camp 14. Tag, Region Estancia Muyurinayoi mit Blick nach Westen ins Tal des Rio Pilcomyo


Region Estancia Muyurinayoi, Camp 14. Tag - Montag, 6. Dezember

Wie Inseln strecken Berge ihre Gipfel über das Nebelmeer, als ich mich früh am Morgen auf den Weg mache. Mehrheitlich auf der Strasse geht es 700 Höhenmeter in steilen Serpentinen hinab in Richtung Süden. Am Fusse des Cerro Matanceria führt die Strasse für lange Zeit auf gleicher Höhe in Richtung Mariscal Braun. Plötzlich sehe ich rote Punkte am steilen und grasbewachsenen Hang. Es sind Aylosteras, die hier zahlreich zu finden sind, die HJ 420. Spätere Abklärungen haben gezeigt, dass es sich um die von Fridrich Ritter entdeckte Aylostera tarvitaensis handelt, benannt nach der ca. 15 km östlich gelegenen Ortschaft Tarvita. Die Besonderheit dieser ca. 3 cm dicken Pflanzen ist die bis zu 6 cm grossen Blüten.

HJ 420 Aylostera tarvitaensis
Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 420 Klon 1, 5, 10, 11, 16 und 17

Kulturpflanzen: HJ 420 Klon 20, 21, 42, 43, 45 und 58

Beim Herumklettern in diesem weitläufigen und steilen Gelände begegne ich häufig der Puya weddelliana. Einige der bis zu 150 cm hohen Rispen sind noch am Blühen.

Puya weddelliana
Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Als ich noch weiter hochsteige bis zu den schroffen mit Moos bewachsenen Felsen, entdecke auf diesen eine weitere mir unbekannte Aylostera, die HJ 421. Sie unterscheidet sich von der Aylostera tarvitaensis vor allem durch die kurzen mehr kräftigen braunen bis schwarzen abstehenden Dornen. Der Körper ist glänzend, kräftig, grün und bis 4 cm dick. Die Blüten sind kleiner und kurztrichterig. Die aus Samen herangewachsenen Pflanzen haben gezeigt, dass es eine neue unbekannte Art ist. Sie wurde 2008 in der Zeitschrift "Kakteen und andere Sukkulenten" erstbeschrieben als Aylostera mandingaensis, benannt nach dem Bergmassiv Cordillera Mandinga. Nach neustem Wissensstand ist Aylostera mandingaensis in ihren morphologischen Eigenschaften von allen bekannten Vertretern der Gattung Aylostera deutlich verschieden. Sie gehört zu den sogenannten kurzröhrigen Aylosteras. Das Verbreitungsgebiet beschränkt sich vermutlich nur auf dieses kleine Gebiet.

HJ 421 Aylostera mandingaensis
Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 421 Klon 1, 5, 20 (2x) und 30

Unauffällig und oft versteckt im Gras wächst auch die Austrocylinderopuntia verschaffeltii mit den wenig bedornten, kugeligen bis zylindrischen Triebsegmenten. Kaum zu übersehen sind die zwischen Felsen blühenden Begonien.

Austrocylinderopuntia verschaffeltii
Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Begonia spec.
Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Es ist früh am Nachmittag, als ich entlang der Stasse in Richtung Mariscal Braun wieder den steilen Hang hochsteige. Dort in den Felsen gibt es einen tief eingeschnittenen Bachlauf. Am grasbewachsenen Aufstieg finde ich wieder Aylostera tarvitaensis, die HJ 422.

HJ 422 Aylostera tarvitaensis
Mariscal Braun, Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 422 Klon 1, 2 und 5

Weiter oben auf den Felsen im Moos wachsen wie angeklebt Aylostera fiebrigii, HJ 423, vergesellschaftet mit Echinopsis mamillosa HJ 424, wovon einige noch am Blühen sind.

HJ 423 Aylostera fiebrigii fa.
Mariscal Braun, Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

HJ 424 Echinopsis mamillosa
Mariscal Braun, Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

HJ 424-1 Echinopsis mamillosa
Mariscal Braun, Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kaum zugänglich zwischen Felsen entdecke ich in dieser Bachrunse eine Parodia, die HJ 425. Sie ist dort vergesellschaftet mit der Aylostera fiebrigii. Die aus Samen herangezogenen Pflanzen haben gezeigt, dass diese in denselben Formenkreis gehören wie die Parodia HJ 413 und Parodia HJ 416 aus der Region des Rio San Jose.

HJ 425 Parodia spec. (Synonym: Parodia spec., syn. HJ 413 und HJ 416)
Mariscal Braun, Cerro Matanceria, Cordillera Mandinga, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanze: HJ 425 Klon 2

Nach diesem erfolgreichen Tag finde ich keinen idealen Ort für die Nacht und campiere in der Region von Mariscal Braun auf einer Wiese an schiefer Lage.

Mariscal Braun, Blick ins Tal des Rio Pilcomayo


Region Mariscal Braun, Camp 15. Tag - Dienstag, 7. Dezember

Der Hang, an dem ich gelegen habe, war so steil, dass mein Schlafsack dauernd ins Rutschen kam. Draussen liegt dichter Nebel und man kann kaum etwas erkennen. Trotzdem baue ich das nasse Zelt zusammen und wandere weiter der Fahrstrasse entlang bis zur Estancia Saipuco am südlichen Ende des Cerro Matanceria.

Saipuco

Als die Sicht besser wird, steige ich ohne Rucksack ca. 200 Höhenmeter hoch zu den Felsen. Dort wachsen zahlreich sehr dicht und lang bedornte Aylosteras fiebrigii, die HJ 426.

HJ 426 Aylostera fiebrigii fa.
Saipuco, Cordillera Mandinga, 2´900 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanze: HJ 426 Klon 2

Noch weiter, auf einer abgeflachten Kuppe gibt es unerwartet eine schöne Überraschung. Zwischen zahlreichen Puyas humilis wachsen massenweise zum Teil grosse Polster von Sulcorebutien, die HJ 427.

Puya humilis
Saipuco, Cordillera Mandinga, 3´100 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Innerhalb dieser Sulcorebutia-Population gibt es verschiedene Gesichter. Bei den einzelnen Individuen variiert die Farbe der Epidermis, der Dornen, wie auch deren Länge. Dazu findet man eine grosse Vielfalt an Blütenfarben. Aus habituellem Gesichtspunkt könnten diese Pflanzen mit den weiter nördlich vorkommenden Sulcorebutia tarabucoensis oder Sulcorebutia crispata in Verbindung gebracht werden. Bei näherer Beschäftigung mit diesen Sulcos in Kultur stellten sich jedoch deutliche Unterschiede zu allen anderen bekannten Sulcorebutien heraus, die eine Klassifizierung dieser Pflanzen als eigene gute Art rechtfertigen. Sie wurde im September 2006 in der Zeitschrift "Kakteen und andere Sukkulenten" erstbeschrieben als Sulcorebutia azurduyensis benannt nach der Ortschaft Azurduy.

HJ 427 Sulcorebutia azurduyensis
Saipuco, Cordillera Mandinga, 3´150 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 427 Klon 6, 8, 10, 12 und 15

Auf dem Pass bei der Estancia Horcani führt die Stasse weiter nach Nordosten in Richtung Tarvita. Ich jedoch nehme den Fussweg nach Süden in Richtung Azurduy. Ich bin erleichtert nicht länger auf der Strasse wandern zu müssen.

Estancia Horcani mit Blick nach Westen ins Tal des Rio Pilcomayo

Von hier nach Süden flacht das gewaltige Gebirgsmassiv der Cordillera Mandiga mehr und mehr ab, und die Berge reichen kaum noch über 3´000 m. Die von Osten herangeführten Regenwolken können hier ungehindert über das Gebirgsmassiv nach Westen vordringen bis hin zum Rio Pilcomayo. Somit ist diese Region wesentlich feuchter als die Westseite der nördlichen Cordillera Mandinga. Dort stauen sich die Regenwolken an der Ostseite der über 4´000 m hohen Berge, und die Feuchtigkeit gelangt seltener auf die Westseite. Das Wandern in diesem zerklüfteten Gelände wird allerdings nicht einfacher. Im Gegenteil. Zahleiche tiefeingeschnittene Täler sind zu überwinden, und das feucht-windige Wetter kratzt am Gemüt. Entlang auf Bergkuppen in feucht- grünen Wiesen und zwischen Steinen wachsen so viele Sulcorebutien azurduyensis, dass man ungewollt auf ihnen herumtrampelt. Um die verschiedenen Vorkommen zu registrieren, mache ich eine neue Feldnummer, die HJ 427a. Teilweise sind diese auch vergesellschaftet mit der Aylostera fiebrigii HJ 426.

HJ 427a Sulcorebutia azurduyensis
3 km südlich Saipuco, Cordillera Mandinga, 3´150 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanze: HJ 427a Klon 1

An bester Lage mit schönem Blick ins Tal des Rio Pilcomayo baue ich das Zelt auf. Obwohl genügend Platz vorhanden, ist es schwierig einen Ort zu finden, wo der Boden nicht vollständig bedeckt ist mit Sulcorebutien. Ich habe mich auf eine warme Mahlzeit gefreut, doch mein Benzinkocher streikt. Ich reinige die Düse und ersetzte Dichtungen, jedoch ohne Erfolg. Es scheint, als ob ich für die restlichen Tage auf offenem Feuer kochen muss. Es gibt genügend trockenes Holz von den wenigen Polylepis-Bäumen. So sitze ich draussen am Lagerfeuer, koche Ungarisch Gulasch und geniesse die schöne Abendstimmung über dem weiten Tal des Rio Pilcomayo.

Camp, 16. Tag nordwestlich Azurduy


Nordwestlich Azurduy, Camp 16. Tag - Mittwoch, 8. Dezember

Der Durst quält mich so sehr vom scharfen Ungarisch Gulasch von gestern, dass ich mich vor Sonnenaufgang auf die Suche nach Wasser mache. Da es hier in dieser Jahreszeit fast täglich regnet, wurde ich in einer Bachrunse schnell fündig. Der Himmel ist leicht bewölkt, die Lufttemperatur ist angenehm und weit draussen im Tal nutzen die Kondore die ersten thermischen Aufwinde. Ich komme nur schleppend vorwärts, überall wo man hinschaut wachsen Sulcorebutien azurduyensis. Für lange Zeit wandere ich auf diesem Gebirgskamm und erreiche am Ende ein grossflächiges Plateau. Im saftigen Gras weiden Kühe und Pferde. Beim nahegelegenen Hof frage ich, ob dies der richtige Weg sei nach Azurduy. Der alte Mann spricht nur Quechua. Doch der Name Azurduy hat er verstanden und zeigt mit dem Arm auf den Weg, der nach Süden führt. Kurz danach geht es steil die Felsen hinab in ein enges Tal. Fast schon instinktiv richtet sich mein Blick an ein senkrecht verlaufenes Felsband. Es dauert nicht lange und ich erkenne rote Farbtupfer in den Felsen. Das muss ich mir genauer anschauen und versuche auf halsbrecherische Weise dorthin zu gelangen. Mitten im schier undurchdringlichen Gestrüpp strahlt plötzlich eine grossblumige, weisse Echinopsis-Blüte (Trichocereus) mir entgegen, was für ein Anblick.

Echinopsis spec.
Hacienda San Gerónimo, 16 km nordwestich Azurduy, Cordillera Mandinga, 3´000 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Doch bald gibt es kein Weiterkommen. Nach langem Suchen finde ich doch noch eine Möglichkeit, ohne grosse Absturzgefahr dorthin zu gelangen. Als ich schon ziemliche nahe an diese Kakteen herangekommen bin, dachte ich, es könnten Aylostera fiebrigii sein. Doch beim näheren betrachten stelle ich fest, dass diese Aylosteras, HJ 428 eine mir unbekannte Art ist. Auffällig an diesen bis 5 cm dicken, runden bis wenig zylindrischen Pflanzen sind die beiden bis zu 3 cm langen Mitteldornen. Der eine nach oben der andere nach unten gerichtet. Die feinen kurzen Randdornen sind gleichmässig um die Areole verteilt. Auch die Blüten zeigen Unterschiede zu der Aylostera fiebrigii. Auf späteren Reisen in diese Region, konnte ich noch weitere kleinere Standorte lokalisieren. Diese Aylostera blieb jedoch bis heute namenlos. Fast den ganzen Nachmittag habe ich mich mit diesen Pflanzen beschäftigt und dabei nur wenige Samen gefunden.

HJ 428 Aylostera spec.
Hacienda San Gerónimo, 16 km nordwestich Azurduy, Cordillera Mandinga, 3´000 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 428 Klon 4 und 5

Unten im Tal im kiesigen Bachbett baue ich das Zelt auf, in der Hoffnung, es kommen keine heftigen Gewitter.

Camp 17. Tag, Region Estancia San Gerónimo


Estancia San Gerónimo, Camp 17. Tag - Donnerstag, 9. Dezember

Mein eigener Gestank ist unerträglich geworden, und so nehme ich vor Sonnenaufgang ein erfrischendes Bad, Schocktherapie pur. Zum Frühstück öffne ich die letzte Packung Trockenfrüchte. Alles andere wie Trockenfleisch und Käse sind aufgebraucht. Die letzten zwei Beutel reichen gerade noch bis Azurduy.

In den Felsen beim Aufstieg aus dem Tal wachsen wieder Aylosteras HJ 428. Oben auf flachen Bergkuppen im lockeren Gras gibt es erneut massenweise Sulcorebutien azurduyensis, die HJ 429. Die meisten blühen in Rot bis Rot-gelb, selten Magenta farbig.

HJ 429 Sulcorebutia azurduyensis
Hacienda San Geranimo, 16 km nordwestlich Azurduy, Cordillera Mandinga, 3´000 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 429 Klon 2, 13, 15, 16, 17 und 22

Später gelange ich erneut in ein enges Flusstal, wandere für längere Zeit diesem entlang und steige wieder hoch in die Berge. Wie zu vermuten war, wachsen auf Bergkuppen südlich der Estancia Gerónimo wieder Sulcorebutien azurduyensis, die HJ 429a.

HJ 429a Sulcorebutia azurduyensis
Hacienda San Gerónimo, 14 km nordwestlich Azurduy, Cordillera Mandinga, 2´900 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Am späteren Nachmittag gehen vermehrt Gewitter nieder. Ca. 6 km nordwestlich von Azurduy finde ich rechtzeitig einen schönen Platz für die Nacht. Holz gibt es genügend, und so koche ich am Lagerfeuer meine zweitletzte Fertigmahlzeit - Reis mit Huhn.

Camp 18. Tag, nordwestlich Azurduy


Nordwestlich Azurduy, Camp 18. Tag - Freitag, 10. Dezember

Am frühen Morgen erschrecken mich Blitz und Donner, und bald fängt es kräftig an zu regnen. Es wollte und wollte nicht aufhören, und so schrieb ich den ganzen Morgen Tagebuch. Ich habe Hunger, aber es gibt nichts mehr zu knabbern. Um die Mittagszeit hört es auf zu regnen. Trotz nassem Holz steht der Topf mit Wasser irgendwann auf dem Feuer. In den ersten zwei Wochen meiner Reise schmeckten mir diese leichten und praktischen Menüs recht gut. Doch jetzt habe ich genug von diesem scheusslichen Hühnerfutter und werde gezwungen, die für mich so wichtigen Kalorien irgendwie in den Bauch zu stopfen. Zumindest hat das Beef Stroganoff meinen Hunger gebändigt und den Magen wieder aktiviert. Weiter gehts auf die letzte Etappe. Schon bald erreiche ich den letzten Pass mit Blick ins weite grüne Tal von Azurduy. Ein Jubelschrei ertönt durch die Landschaft, bald ist es geschafft, was für eine Freude. Auch hier wachsen wieder zahlreiche Sulcorebutien azurduyensis, die HJ 431, in verschiedenen Blütenfarben.

HJ 431 Sulcorebutia azurduyensis
3 km nordwestlich Azurduy, Cordillera Mandinga, 2´700 m-2´900 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 431 Klon 1, 2, 3, 6 und 7

Kulturpflanzen: HJ 431 Klon 8, 10, 11 und 12

Kurz bevor ich den Talboden erreiche, wachsen vereinzelt Echinopsen huotii, HJ 430, mit weit fortgeschrittenen Blütenknospen. Im Vergleich zu der Echinopsis mamillosa, die einzeln wächst und mehr feine Dornen hat, sprosst die Echinopsis huotii. In der Ebene sind weit verstreut grossflächig Mais- und Kartoffelfelder angelegt, dazwischen einzelne Bauernhöfe.

HJ 430 Echinopsis huotii
2 km nordwestlich Azurduy, Cordillera Mandinga, 2´800 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanze: HJ 430 Klon 1

Über die Landstrasse erreiche ich am späten Nachmittag das ländlich geprägte Dorf Azurduy. Auf der ausgewaschenen Strasse, vorbei an verwahrlosten Häusern, gehe ich Richtung Zentrum. Es sind kaum Menschen zu sehen, und Autos gibt es auch keine.

Azurduy

Das ändert sich jedoch bald. Meine etwas heruntergekommene, erbärmliche Erscheinung, dazu noch ein Gringo, weckt schnell grosse Aufmerksamkeit. Plötzlich kommen die Menschen aus ihren Häusern und stehen etwas ratlos und verwirrt auf der Strasse. Sicher denken sie, woher kommt diese fremde Gestalt, es fahren doch keine Lastwagen. Als ich im Zentrum nach einer Unterkunft frage, werde ich ausgefragt wie auf einem Polizeiposten. Woher ich komme, und was ich hier gedenke zu machen, fragen sie. Ich würde nach Kakteen suchen und sei zu Fuss von Zudañez gekommen. Es herrscht grosse Ratlosigkeit. Dass man soweit wandern kann, um nach diesen stacheligen Dingern zu suchen, die für die meisten Bauern hier auf dem Land ein lästiges Ärgernis sind, stösst auf grosses Unverständnis. Es wird gesagt, dass am Sonntag ein Lastwagen nach Sucre fahren würde, und ein Zimmer gäbe es gegenüber der Strasse. Das sind gute Nachrichten. Der Mann, der die Zimmer vermietet, sagt, es gäbe welche mit Bett und welche ohne Bett, was ich dann gerne hätte. Eine etwas ungewöhnliche Frage. Da die Betten meist zu kurz sind, die Matratzen von Bettwanzen befallen, und die Decken oft monatelang nicht gereinigt, bevorzuge ich ein Zimmer ohne Bett. Diese Zimmer, die nur einen Franken kosten sind nicht für Touristen gedacht, sondern für Menschen vom Lande, die von weither kommen, um mit dem Lastwagen nach Sucre zu reisen. Der Mann säubert das Zimmer von allem möglichen Dreck und versprüht Duftspray. Diese Gestanksmischung hat den üblen Geruch jedoch nicht verbessert, im Gegenteil.

Blick in den Hinterhof von meinem Zimmer

Ich schaue auf der Landkarte, was ich am morgigen Tag noch unternehmen könnte und entschied mich, auf den im Osten gelegenen Cerro Sombrerillo zu wandern. Im nahe gelegenen Restaurant mit nur drei Tischen und einem "Töggelikasten" bekommt mein Magen seit langem wieder etwas Abwechslung. Es gibt Nudeln mit etwas Fleisch. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Doch für 40 Rp. Inklusive Mineralwasser kann man nicht mehr erwarten.


Azurduy, 19. Tag - Samstag, 11. Dezember

Die Señora im Hause macht heisses Wasser für meine Fertigsuppe zum Mitnehmen. Im Restaurant gibt's seit langem wieder einen Kaffee, dazu ein frischgebackenes Brötchen, ein Aufsteller. Ich kaufe noch einige Früchte, marschiere aus dem Dorf in Richtung Norden und später auf dem Fussweg nach Osten. Ich habe nur das Allernötigste im Rucksack und gelange über die Felder bald in die Berge. Immer wieder stehen vereinzelt Gruppen von Echinopsen (Trichocereen) am Wegrand, teilweise mit Knospen und welkenden Blüten.

Echinopsis spec.
Azurduy, 2´500 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Bereits beim Aufstieg zum Cerro Sombrerillo entdecke ich grosse Polster von Sulcorebutien azurduyensis, die HJ 431a. Es gibt keine wesentlichen Unterschiede zu der Letztgefundenen. Sie sind weit verbreitet bis hoch auf den Pass.

HJ 431a Sulcorebutia azurduyensis
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 2´700 m - 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 431a Klon 2

Zahlreiche Kondore nutzen die thermischen Winde und kreisen gemächlich an den steilen Felswänden. Dort wachsen wieder Formen von Aylostera fiebrigii, die HJ 432.

HJ 432 Aylostera fiebrigii fa.
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 432 Klon 1

Dort, wo sich Feuchtigkeit über längere Zeit speichern kann, entdecke ich weitere botanische Kostbarkeiten, wie Kosmeen, auch Schmuckkörbchen genannt, die ursprünglich in dem Gebiet von Arizona in den USA bis nach Mittelamerika beheimatet sind. Es ist eine Pflanzengattung in der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Da sie in vielen Ländern als Zierpflanze verwendet wird und zum verwildern neigt, ist sie in vielen Gebieten, auch in Bolivien eine invasive Pflanze.

Kosmos spec. (Familie: Korbblütler Asteraceae)
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Die kleinwüchsige Hypseocharis pimpinellifolia ist eine Pflanzengattung aus der Familie der Geraniaceae und ist in feuchteren Gebieten Boliviens verbreitet.

Hypseocharis pimpinellifolia (Familie: Geraniaceae)
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kaum zu übersehen ist auch die Bomarea dulcis mit ihren glockenartigen wenig öffnenden Blüten.

Bomarea dulcis (Inkaliliengewächs)
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Auch die Blüten des holzigen Strauchs Brachyotum microdon öffnen sich kaum. Es ist eine Pflanzenart aus der Gattung "Brachyotum", Schwarzmundgewächse.

Brachyotum microdon (Schwarzmundgewächse)
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Weiter wächst ein Schwertliliengewächs, (Iridoideae), deren Blüten schopfförmig in einzelnen Büscheln an den Stielen erscheinen. Die Untergattung Iridoideae gehört in eine der beiden Hauptunterfamilien der beliebten Familie Iridaceae.

Iridoideae spec. (Familie: Iridaceae)
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Nicht zu übersehen sind auch die grossen Gruppen des Lupinus bandelierae (Lupinen). Beim Fotografieren der Pflanzen schwirren unermüdlich kleine nur ca. 10 cm grosse Kolibris mit langem Schwanz von Blüte zu Blüte.

Lupinus bandelierae
3 km südöstlich Azurduy, Cerro Sombrerillo, 3´250 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Ich wandere weiter der Gebirgskrete entlang in Richtung Süden und entdecke zwischen Felsen eine mir bereits bekannte Aylostera, die HJ 433. Sie ist synonym zu der vor drei Tagen gefundene Aylostera HJ 428, die bis heute namenlos geblieben ist.

HJ 433 Aylostera spec. (Synoym: HJ 428 Aylostera)
km südöstlich Azurduy, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Kulturpflanzen: HJ 433 Klon 4, 5 (2x) und 6

Es ist spät geworden, und ich steige langsam ins Tal hinab. Immer wieder gibt es kleine Populationen von Sulcorebutien azurduyensis. Ich mache meine letzte Standortangabe dieser Art, die HJ 434 und erreiche bald die Estancia Angostura, wo die Bauern am Pflügen sind.

HJ 434 Sulcorebutia azurduyensis
2 km südöstlich Azurduy, 2´500 m - 3´000 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Azurduy, Bolivien

Bauern am Pflügen bei Angostura

Auf weiteren Reisen in diese Region konnte ich das ganze Einzugsgebiet dieser Sulcorebutienart lokalisieren. Es erstreckt sich in einem Radius von ca. 15 km bis 20 km um die Ortschaft Azurduy in Höhenlagen zwischen 2´500 m und 3´200 m. Wie anfänglich meiner Reise erhofft, bis in das weiter südlich gelegene Culpina zu wandern, hat sich leider nicht erfüllt. Ich war zu optimistisch und habe das Vorhaben in diesem unwegsamen Gebiet unterschätzt. Doch bereits ein Jahr später 1994 nahm ich die Fortsetzung in Angriff und wanderte von Azurduy bis nach Camargo.

Zurück in Azurduy steht ein Volvo Lastwagen mitten im Dorf. Der Fahrer sagt, er würde morgen um 6 Uhr nach Sucre fahren. Im Restaurant gibt es wie immer am Wochenende gebratene Hühnchen, für mich ein Festessen und eine willkommene Abwechslung nach dieser eintönigen Esskultur der letzten drei Wochen.


Azurduy, 20.Tag - Sonntag, 12. Dezember

Ich stand sehr früh reisefertig auf der Strasse. Es wird gesagt, dass noch ein Jeep auf den Lastwagen geladen werden muss. Es herrscht bereits reges Treiben. Bauern bringen ihre Produkte ins Dorf, Frauen putzen vor ihren Hauseingängen und Schweine wühlen nach Essbarem. Einige Mädchen haben sich für die Frühmesse hübsch gemacht. Dann sammeln sich immer mehr Menschen mit viel Gepäck. Als der Volvo Lastwagen kommt, herrscht Hektik und jeder will sich den besten Platz für die lange Fahrt nach Sucre sichern.

Azurduy

Um 08: 00 Uhr fahren wir los in Richtung Tarvita. Immer wieder hält der Fahrer, um weitere Passagiere mit Gepäck aufzunehmen, auch Schweine und Hühner sind dabei. Von Tarvita führt die Strasse wieder auf die Cordillera Mandinga. An einem Bach, wo ich vor einer Woche gefrühstückt habe, ist die Strasse wegen heftigen Regenfällen verschüttet. Der Fahrer verteilt Schaufeln und Pickel an die Männer. Auch ich beteilige mich am Wegräumen der Steine und beim Befestigen der Strasse. Die Sonne brennt erbarmungslos und macht die Situation noch unerträglicher.

Lastwagenfahrt nach Sucre

Es ist bereits Mittag geworden, als die Fahrt endlich weiter geht. Bei den meisten engen Serpentinen hoch auf den Pass nach Cruz Khasa muss der Fahrer zweimal ansetzten, um die Kurven zu kriegen. Ich staune über seine Fahrkünste, denn der Lastwagen ist für diese Strasse viel zu lang. Es ist besser man schaut nicht hin, wie nahe die Räder am Abgrund sind. Entlang der Wasserscheide bis hoch auf 4´000 m geht es weiter auf der Gebirgskette nach Norden. Oft stecken wir in dichten Wolken, und von Osten bläst ein stürmisch kalter Wind. Die Menschen, auch Frauen mit kleinen Kindern und Babys, verkriechen sich unter warmen Decken. Auch ich packe meinen Schlafsack aus und schütze mich so gut das eben geht. In Tarabuco, nach 12 Stunden Fahrt, machen wir Pause und verköstigen uns im Restaurant. Kurz vor Mitternacht, die meisten völlig erschöpft, erreichen wir Sucre. Mit dem Taxi fahre ich ins Hostal Recoleta, dass mir der Fahrer empfohlen hat. Seit langem schlafe ich wieder in einem normalen bequemen Bett mit frischer Bettwäsche, Highlight pur.


Sucre, 21. Tag - Montag, 13. Dezember

Ich bin glücklich und zufrieden nach drei Wochen Wildnis und Strapazen wieder gesund in der Zivilisation zu sein. Und endlich kann ich auch bei mir zu Hause diese erfreuliche Nachricht überbringen.

Erst wenn jemand einmal über das karge Hochland Boliviens gewandert ist und die einsame Schönheit der Natur und die Bescheidenheit der Menschen kennengelernt hat, kann verstehen, dass man immer wieder gerne zurückkehrt in dieses wunderbare Land.


La Paz, Dienstag, 14. bis Donnerstag, 16. Dezember

Als ich mit dem Taxi zum Flughafen fahre, haben wir eine Reifenpanne. Zum Glück sind es nur noch wenige hundert Meter zu Fuss bis ans Ziel. Planmässig steige ich am Nachmittag in eine Boeing 727 der Lloyd Aeréo Boliviano und fliege zurück nach La Paz und weiter mit dem Taxi nach Mallasa ins Hotel Oberland. Ernesto ist wieder sehr beschäftigt, doch am Abend essen wir gemütlich zusammen und plaudern über alles Mögliche.

Flug nach La Paz mit Hotel Oberland in Mallasa

Ich mache mir zwei gemütliche Tage im Hotel und fliege danach rechtzeitig zu Weihnachten zurück nach Hause.

Erst Jahre später, beim Bearbeiten der gefundenen Pflanzen, wurde mir bewusst, wie erfolgreich meine Expedition entlang der Cordillera Mandinga war.





Literatur:
Gertel, W. (2004): Sulcorebutia juckeri (Cactaceae) - eine neue Art aus der Cordillera Mandinga, Bolivien - Kakt. and. Sukk. 55 (12): 332 - 338
Gertel, W., Jucker, H. & de Vries, J. (2006): Sulcorebutia cantargalloensis (Cactaceae) - eine weitere neue Art aus der Cordillera Mandinga, Bolivien - Kakt. and. Sukk. 57 (2): 43 - 50
Gertel, W., Jucker, H., de Vries, J. (2006a): Sulcorebutia azurduyensis (Cactaceae) - eine neue Art aus der Umgebung von Azurduy, Bolivien - Kakt. and. Sukk. 57 (9): 239 - 247
Gertel, W. & Jucker, H. (2012): Sulcorebutia azurduyensis var. sormae comb. nov. - een nieuwe variëteit uit de zuidelijke Cordillera Mandinga, Chuquisaca, Bolivia - Succulenta 91 (3): 118-124 Horá?ek, L. (2011): Sulcorebutia sormae He?tus, Horá?ek & Slaba species nova -Kaktusy 47 (1): 30-33
R. Wahl, H. Jucker & W. Gertel (2008) Aylostera mandingaensis (Cactaceae) - eine neue Art aus der südlichen Cordillera Mandinga, Bolivien - Kakt. and. Sukk. 59(4): 99-105